„Chinas BIP soll im laufenden Jahr um rund fünf Prozent gesteigert werden.“ Dieses Wachstumsziel für 2024 verkündete Ministerpräsident Li Qiang am 5. März in seinem Tätigkeitsbericht der Regierung am Eröffnungstag des Nationalen Volkskongresses (NVK) in Beijing. Die Zeichen stehen in der Volksrepublik also weiter auf Wachstum. Es wird erwartet, dass Chinas Wirtschaft im laufenden Jahr weiter an Fahrt aufnimmt. Michael Schumann, Vorsitzender des Bundesverbandes für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (BWA), wertet die Zahl als positives Signal. „Ich traue der chinesischen Wirtschaft weiteres Wachstum zu“, sagt er im Gespräch mit China Heute. „Vorausgesetzt, die Weltlage trübt sich nicht noch stärker ein“. Wir haben mit dem BWA-Vorsitzenden in einem Exklusivinterview über seine Einschätzung zur aktuellen Wirtschaftslage und dem Geschäftsumfeld in China gesprochen und ihn um eine Analyse der chinesisch-deutschen Handelsbeziehungen gebeten.
Fest steht: China gilt unverändert als wichtiges Stimmungsbarometer der Weltwirtschaft. Kein Wunder also, dass in diesen Tagen die Augen der Weltöffentlichkeit auf die Tagungen von PKKCV und NVK – bekannt als „zwei Tagungen“ – gerichtet sind. Und der Blick nach China dürfte zuversichtlich stimmen: Denn trotz der zahlreichen Risiken und Herausforderungen, die sich im vergangenen Jahr aus der komplexen und wechselhaften internationalen Lage ergeben haben, befand sich Chinas Wirtschaft 2023 klar auf Erholungskurs.
Ein Blick auf die Zahlen belegt das: Das Bruttoinlandsprodukt des Landes legte 2023 im Vorjahresvergleich um 5,2 Prozent auf über 126 Billionen Yuan zu. Damit konnte China eine der höchsten Wachstumsraten unter allen großen Volkswirtschaften realisieren. Ein Fakt, den Chinas Ministerpräsident in seinem Tätigkeitsbericht hervorhob.
„Ein stabiles Wachstum in China stabilisiert die globale Wirtschaft, die sich aufgrund der aktuellen Krisen in einer schwierigen Lage befindet“, bewertet Michael Schumann die Zahlen. Der BWA-Vorsitzende betont die Wichtigkeit des chinesischen Wirtschaftswachstums. Auf sich im Westen mehrende Stimmen, die einen wirtschaftlichen Zusammenbruch der Volksrepublik prophezeien, gibt der Deutsche wenig.
„In all den Jahren meiner Beschäftigung mit China kann ich mich an kein einziges Jahr erinnern, in dem nicht irgendein Journalist eines westlichen Mediums den bevorstehenden Zusammenbruch der chinesischen Wirtschaft vorhergesagt hätte“, sagt der China-Kenner. „Bislang lagen solche Berichte immer daneben.“ Man solle daher derartige Unkenrufe nicht überbewerten, rät er.
Michael Schumann, Vorsitzender des Bundesverbandes für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (Foto mit freundlicher Genehmigung von Michael Schumann)
Mehr China-Investment als je zuvor
Im vergangenen Februar bezifferte das Statistische Bundesamt (Destatis) das bilaterale Handelsvolumen zwischen China und Deutschland für 2023 auf 253,1 Milliarden Euro. China war damit bereits das achte Jahr in Folge der größte Handelspartner der Bundesrepublik. Im selben Monat wies das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einem auf Daten der Deutschen Bundesbank basierenden Bericht darauf hin, dass die Direktinvestitionen aus Deutschland in China im vergangenen Jahr ein Rekordhoch von 11,9 Milliarden Euro erreicht hätten – ein Plus von 4,3 Prozent gegenüber 2022. Dem Bericht zufolge haben deutsche Firmen allein in den Jahren 2021 bis 2023 genauso viele Neuinvestitionen in der Volksrepublik getätigt wie in den sechs Jahren von 2015 bis 2020. Weiter hieß es in dem Report, China als Zielland habe 2023 10,3 Prozent aller deutschen Direktinvestitionen im Ausland angezogen – der höchste Wert seit 2014.
Die jüngsten Daten sorgten nach der Bekanntgabe für weitreichende Aufmerksamkeit und sendeten eine wichtige Botschaft an die Welt: nämlich, dass die wirtschaftliche Verbundenheit der beiden großen Volkswirtschaften China und Deutschland noch immer denkbar eng ist, trotz des anhaltenden globalen Gegenwindes. China bleibt also weiterhin ein wichtiges Investitionsland für deutsche Unternehmen.
Aus Schumanns Sicht zeigen die hohen Investitionssummen deutscher Firmen in China, dass die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern nach wie vor auf einem soliden Fundament ruhen. Der BWA-Vorsitzende führt dies zum einen auf Chinas positives Geschäftsumfeld zurück – trotz des starken Wettbewerbs, bestehenden Verbesserungspotenzials bei den Rahmenbedingungen und auch trotz der Aus- und Nachwirkungen der Corona-Pandemie. Ein besonderer Anreiz des chinesischen Geschäftsumfelds liege in der Innovationskultur des Landes, so der BWA-Vorsitzende. Hinzu kämen die allgegenwärtige Digitalisierung und eine hervorragende Infrastruktur als positive Faktoren. All dies schaffe attraktive Produktionsbedingungen in China, so der Wirtschaftsfachmann.
„Wir haben in Deutschland im letzten Jahr vielversprechende Ansätze in Sachen Außenöffnung in China gesehen, von denen ich hoffe, dass sie weiter ausgebaut werden“, sagt Schumann. Als Beispiel führt er insbesondere die Politik der unilateralen Öffnung an, etwa durch die Aussetzung der Visumspflicht für deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Das habe deutschen Unternehmen, die in und mit China Geschäfte machten, große Erleichterungen gebracht.
Ein weiterer Grund sei, dass mehr und mehr deutsche Unternehmen in China angesichts zunehmender globaler Risiken in den Lieferketten überlegten, wie sie ihre Produktionsstandorte im Land autarker machen und so besser absichern können, so Schumann weiter. Auch hier erweist sich ein Blick auf die Zahlen als aufschlussreich: Mit einer geschätzten Gesamtinvestition von einer Milliarde Euro hat Volkswagen (China) in Hefei in der zentralchinesischen Provinz Anhui sein größtes Entwicklungszentrum außerhalb Deutschlands gegründet. Es deckt die gesamte Wertschöpfungskette von Forschung und Entwicklung (F&E) über Produktion bis hin zu Vertrieb und Service für den Bereich Elektromobilität ab. Im Juli dieses Jahres soll zudem ein F&E-Zentrum für Industriesoftware von Siemens in Shenzhen in Betrieb gehen.
Der BWA unterstützt seit seiner Gründung vor 21 Jahren ganz gezielt die chinesisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen. Im vergangenen Jahr verzeichnete der Verband nach der Corona-Durststrecke wieder eine deutliche Zunahme in Sachen Kooperationstätigkeit, insbesondere auf Unternehmensebene und in der kommunalen Zusammenarbeit. Daraus schlussfolgert der BWA-Vorsitzende, dass es nach wie vor großes Potenzial für die deutsche Wirtschaft in der Volksrepublik gebe, insbesondere was Zukunftsbereiche wie Umwelttechnologie oder Bio- und Life-Sciences angehe.
Schumann bewertet die Stimmung der investierenden Unternehmen aus Deutschland weiter als positiv. Die Firmen blickten zuversichtlich auf den Standort China, sagt er im Interview. Diese Einschätzung wird auch von den Ergebnissen der jüngsten Geschäftsklimaumfrage 2023/24 der Deutschen Auslandshandelskammer (AHK) in China untermauert. Demnach planen 54 Prozent der 566 befragten Mitgliedsunternehmen, auch in Zukunft in China zu investieren.
Deutsche Unternehmen investieren weiter kräftig in China: Im Bild zu sehen sind chinesische Arbeiter an der Generalmontagelinie von FAW-Volkswagen in Changchun in Jilin. (Foto: Xinhua / Juni 2023)
Mehr Austausch und Verständnis schmälert Risiken
Rege, fruchtbar und eindrucksvoll: so könnte man die aktuellen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen China und Deutschland beschreiben. In der deutschen Politik aber ist stattdessen gerade ein anderes Schlagwort in Mode: De-Risking. Die Bundesregierung hat deutsche Unternehmen dazu aufgefordert, Abhängigkeiten von China zu reduzieren.
Auch hier plädiert Schumann für mehr Augenmaß. Ein ganzes Land, das mit Deutschland seit langer Zeit derart freundschaftlich verbunden sei, nun pauschal zu einem „Risiko“ zu erklären, zeuge von wenig China-Kenntnis und sei der falsche Weg, so der langjährige China-Kenner.
Im Windschatten der De-Risking-Diskussion ist in Deutschland zudem jüngst eine neuerliche Debatte über die Investitionen deutscher Unternehmen in Xinjiang entbrannt. Hierbei handele es sich um eine eskalierende und von einigen Medien und Politikern sehr emotional geführte Auseinandersetzung, sagt Schumann. Für die Schärfe, mit der diese Debatte geführt werde, habe er wenig Verständnis. Er selbst möchte sich der harschen Kritik ausdrücklich nicht anschließen. Vor einigen Jahren sei er selbst nach Xinjiang gereist und sei dort Zeuge geworden, wie sinnvoll die örtlichen Wirtschaftsinvestitionen zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Einheimischen seien, sagt er.
„Diejenigen, die dieses Engagement jetzt in Frage stellen, müssten mir einmal erklären, wie den Menschen vor Ort, um deren Wohlergehen es den Kritikern ja angeblich geht, geholfen wäre, wenn man ihnen die neu geschaffenen Arbeitsmöglichkeiten wieder wegnähme“, so Schumann. „Was wir brauchen ist mehr Engagement, nicht weniger. Wir brauchen Kooperation statt Konfrontation, mehr Austausch und Verständnis, auch wenn wir in unterschiedlichen politischen Systemen leben“, mahnt der Experte.
Es sei wichtig, Unternehmern in Deutschland ein realistisches Bild ihrer Chancen in China zu vermitteln. Er rät Geschäftsleuten dazu, das Land aus eigener Anschauung kennenzulernen. Dies werde derzeit allerdings leider durch die negative Berichterstattung in vielen westlichen Medien erschwert, bedauert er. „Ich hoffe daher, dass von dem geplanten China-Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz mit einer deutschen Wirtschaftsdelegation Mitte April neue positive Impulse ausgehen werden“, so Schumann zum Abschluss.