Von Verena Menzel
„Beim Geld hört die Freundschaft auf“, so sagt der deutsche Volksmund, eine Redensart, die sich durchaus auch auf andere gesellschaftliche Bereiche ummünzen lässt. So zum Beispiel auf den Umweltschutz. Denn Fakt ist: Grüne Technologie wird zwar weltweit immer ausgefeilter, doch sie ist meist noch immer vor allem eines – nämlich teuer! Und wenn es an den Geldbeutel von Unternehmen und Verbrauchern, sprich Unternehmensgewinne bzw. Kaufpreise und Steuerlast, geht, hört die Freundschaft zum Umweltschutz oft schnell auf. Der homo economicus lässt grüßen.
In dieser Reihenhaussiedlung steckt deutsche Technik: Diese Wohnhäuser des Dorfes „Neu-Shaling“ vor den Toren Beijings entstanden unter Beteiligung deutscher Unternehmen und Experten.
Besonders eindrucksvoll zeigt sich dieser Trend am Beispiel der sogenannten Passivhaustechnologie. Seit einigen Jahren gewinnt der aus Deutschland stammende Standard zur Errichtung energiesparender Gebäude auch in China an Popularität. Am Beispiel Passivhaus wird deutlich, wie sich eine Win-win-Zusammenarbeit zwischen China und dem Westen realisieren lässt, von der am Ende alle profitieren, nicht nur Unternehmen und Verbraucher, sondern vor allem auch Mensch und Umwelt.
Passivhäuser – ein deutsches Modell kommt nach China
Um uns ein Bild zu machen, fahren wir rund 40 Minuten mit dem Bus ins Beijinger Umland. Hier, ganz im Norden außerhalb des Stadtzentrums, wo die Gegend ländlich anmutet, wurde im Oktober 2017 die erste Passivhaussiedlung der chinesischen Hauptstadt fertiggestellt, das Dorf „Neu-Shaling“ (沙岭新村). Sie entstand unter Beteiligung deutscher Unternehmen und Experten und mit Hilfe von Technik und Verfahren made in Germany.
Vor allem auf Nordchina, zum Beispiel die Region Beijing-Hebei, lassen sich die Erfahrungen und technischen Lösungen aus Deutschland und Europa aufgrund ähnlicher klimatischer Bedingungen gut übertragen.
In die insgesamt 36 zweistöckigen Wohnhäuser zogen die ehemaligen Bewohner eines nahegelegenen Dorfes ein, die bis dahin in einem bei Starkregen von Erdrutschen bedrohten Gebiet gesiedelt hatten.
„Durch die Realisierung des Projektes ist es uns nicht nur gelungen, die Menschen erfolgreich aus dieser Gefahrenzone umzusiedeln, sondern auch den Energieverbrauch und damit die jährlichen Fixkosten der Dorfbewohner drastisch zu senken“, sagt Zhang Xiaoling, leitende Ingenieurin und Direktorin des Beijing Kang-Ju Certification Center des Center of Science and Technology & Industralization Development, welches das Projekt durchgeführt hat.
Das weltweit erste Passivhaus wurde 1991 im südhessischen Darmstadt errichtet. Bei sogenannten Passivhäusern handelt es sich nicht, wie man vielleicht meinen möchte, um eine neue Bauweise, sondern um einen neuen Baustandard, der besondere Anforderungen an die Architektur, die verwendete Technik und die Ökologie stellt. Auch alte Häuser lassen sich also durch entsprechende Umbau- und Sanierungsarbeiten in Passivhäuser umwandeln.
Gute Wärmedämmung ist das A und O: Das Passivhaus Institut Darmstadt fand in einer Studie heraus, dass der Passivhausstandard in verschiedensten Klimazonen anwendbar ist.
Das Besondere dieser Gebäude: Der überwiegende Teil des Wärmebedarfs wird aus „passiven“ Energiequellen wie Sonneneinstrahlung bzw. der Abwärme von Personen und technischen Geräten im Haus gedeckt. Das Ergebnis ist eine positive Raumwahrnehmung, gekoppelt mit einem äußerst niedrigen Energieverbrauch und damit auch geringen Energiekosten.
Nordsüdgefälle bei grüner Gebäudetechnik
Neu-Shaling mag die erste Passivhaussiedlung Beijings sein, landesweit betrachtet sind Passivhäuser in China allerdings längst keine Neuheit mehr, wie uns Nicole Pillen, stellvertretende Bereichsleiterin Energieeffiziente Gebäude sowie Leiterin des Arbeitsgebietes Internationale Zusammenarbeit der Deutschen Energie-Agentur GmbH (dena), erklärt.
Nicole Pillen von der Deutschen Energie Agentur auf der 17. Internationalen Messe für Wohnungswirtschaft & Produkte und Ausrüstungen der Gebäudeindustrialisierung (CIEHI) in Beijing.
Pillen ist angereist, um vom 11. bis 13. Oktober an der 17. Internationalen Messe für Wohnungswirtschaft & Produkte und Ausrüstungen der Gebäudeindustrialisierung (CIEHI) in Beijing teilzunehmen.
Sie sagt: „Die chinesische Seite hat vor zehn Jahren erstmals die Kooperation mit uns gesucht, insbesondere im Bereich hocheffizienter Gebäude, in dem wir in Deutschland im Zuge der Energiewende im Gebäudebereich in den letzten 20 Jahren viele Erfahrungen sammeln konnten. Wir haben uns dann darauf verständigt, über verschiedene Pilotprojekte die Passivhaustechnologien in China auszuprobieren und einen ambitionierten Effizienzhausstandard einzuführen. Die daraus entstandenen erfolgreichen Beispiele haben letztlich dazu geführt, dass sich diese Technik in China mittlerweile sehr stark verbreitet hat und das Wort Passivhaus in aller Munde ist.“
Vor allem auf Nordchina, zum Beispiel die Region Beijing-Hebei, lassen sich die Erfahrungen und technischen Lösungen aus Deutschland und Europa aufgrund ähnlicher klimatischer Bedingungen quasi eins-zu-eins übertragen. Um die Technologien allerdings auch in anderen chinesischen Klimazonen, etwa im Süden des Landes mit seinen schwülheißen Sommern, anwenden zu können, bedürfe es der Kooperation mit erfahrenen chinesischen Kollegen, so Pillen. „Hier fehlt es uns im Bereich des energieeffizienten Bauens in Europa an Erfahrungswerten. Da können wir als Deutsche zwar helfen, aber der entscheidende Impuls muss letztlich von chinesischer Seite kommen.“
Und dass auf chinesischer Seite ein starker Wille besteht, beweisen die beachtlichen Fortschritte, die deutsche und chinesische Ingenieure in den letzten Jahren gemeinsam bei der Übertragung der Technik erzielt haben.
Nicole Pillen von der Deutschen Energie Agentur im Gespräch
Unter Federführung des Passivhaus Institut Darmstadt, das Technologien, die den Passivhausstandard erfüllen, offiziell zertifiziert, wurden Untersuchungen in neun chinesischen Städten in fünf verschiedenen Klimazonen durchgeführt, darunter auch die südlich gelegenen Metropolen Shanghai und Guangzhou. „Wir konnten nachweisen, dass sich Passivhäuser in verschiedensten Klimazonen realisieren lassen“, fasst Chen Shou-Kong, China-Repräsentant des Passivhaus Institut Darmstadt, die Ergebnisse zusammen.
Für die Zukunft sei die erfolgreiche Anwendung der Passivhaustechnologie vor allem für Südchina eine große Chance, um den grünen Städtebau voranzubringen, betont Chen. „In Shanghai wird im Winter noch immer viel mit Strom geheizt, was sehr teuer ist. Und auch im Sommer gibt es hohe Energiekosten, wenn große Hitze und hohe Luftfeuchtigkeit herrschen und die Räume über Klimaanalagen gekühlt werden. All das lässt sich über die Passivhaustechnologie gut regulieren. In Zukunft hoffen wir also, auch die Menschen in Südchina noch stärker von dieser umweltfreundlichen Bauweise zu überzeugen.“
Konkurrenz belebt das Geschäft
Noch werden viele Produkte für die in China gebauten Passivhäuser importiert oder von ausländischen Herstellern in Kooperation mit chinesischen Partnern vor Ort in China produziert. In den Anfangsjahren haben also vor allem ausländische Firmen das Geschäft dominiert. Doch mittlerweile ließen auch immer mehr chinesische Firmen ihre Produkte nach dem Passivhausstandard bei seinem Institut zertifizieren, erklärt uns Chen. Er selbst begrüße diese Entwicklung ausdrücklich, sagt er.
„Die große Konkurrenz auf dem chinesischen Markt sorgt erfahrungsgemäß dafür, dass die Preise schnell gedrückt werden und das ist letztlich gut. Dadurch werden Passivhäuser günstiger und gewinnen an Verbreitung. Denn erst wenn diese Technik breite Anwendung findet, gibt es letztlich einen entsprechend positiven Einfluss auf unsere Umwelt.“
Insgesamt sei der wachsende Markt für grüne Gebäudetechnik für deutsche Unternehmen auch in Zukunft eine große Chance, so die Einschätzung von Nicole Pillen. Dem tue die wachsende Zahl chinesischer Wettbewerber keinen Abbruch: „Es stimmt zwar, dass es mittlerweile mehr chinesische Firmen gibt, die qualitativ aufholen und mit den europäischen Anbietern in Wettbewerb treten, doch gleichzeitig gibt es heute auch eine wesentlich größere Nachfrage, als noch vor einigen Jahren.“
Die gemeinsame grüne Entwicklung als Chance
Den im Westen teils beschworenen Sorgen vor extensivem Abkupfern von Know-how kann die Deutsche in Sachen grüne Stadtentwicklung so jedenfalls nicht beipflichten. „Für den Gebäudebereich gilt, dass sich Know-how nicht einfach abkupfern lässt. Architekten, Planer und Bauleute auf der Baustelle sammeln ihr Wissen über langjährige Erfahrung und harte Anstrengung. Nicht umsonst haben wir zehn Jahre gebraucht, um im Bereich Passivhaus in China dorthin zu gelangen, wo wir heute stehen.“
Wettbewerb belebt das Geschäft: Liu Bin, der auf der CIEHI in Beijing die Firmen UNILUX und Bosig vertritt, sieht den chinesischen Markt als große Chance.
Dem pflichten auch deutsche Unternehmensvertreter bei, die zur diesjährigen CIEHI nach Beijing gereist sind. Liu Bin, Chefrepräsentant des China-Geschäftes des führenden deutschen Fenster- und Türenherstellers UNILUX und gleichzeitig General Manager des deutschen Folienherstellers Bosig – beide Firmen vertreiben auch Produkte nach Passivhausstandard – sagt: „Wir sind als Unternehmen natürlich stets auf den Schutz unserer Technik und unseres Know-hows bedacht, aber wir haben grundsätzlich keine Angst vor der chinesischen Konkurrenz, weil wir von der Qualität unserer Produkte überzeugt sind.“ Für UNILUX und Bosig sei der wachsende Bereich grüner Gebäudetechnik in China vielmehr eine große Chance.
Auch Andreas Lehmann, Prokurist der Lunos Lüftungstechnik GmbH, die unter anderem Raumluftsysteme für Passivhäuser anbietet, unterstreicht das große Potential des chinesischen Marktes. „Ich kann die Sorgen ausländischer Unternehmen bezüglich des Schutzes ihres Know-hows zwar durchaus verstehen, aber wir selbst haben hier in China bisher keine schlechten Erfahrungen gemacht“, sagt er am Rande der Messe.
Perspektiven
Für die kommenden Jahre erwarteten Lehmann und seine Firma eine positive Entwicklung in der deutsch-chinesischen Unternehmenskooperation im Bereich umweltfreundlicher Gebäudetechnik.
„Der chinesische Markt wird in den kommenden Jahrzehnten ein dramatisch wichtiger Markt werden. Mit der reinen Wertschöpfung, die aus Deutschland kommt, ist unsere Firma mit ihrem Modell gar nicht zukunftsfähig. In Deutschland sind wir bereits am Limit unserer Produktionsressourcen. Von daher sind Franchise und Partnerschaften mit chinesischen Unternehmen wichtig, um mit den verfügbaren Kapazitäten hier vor Ort für den chinesischen Markt zu produzieren“, so der Deutsche.
Nicole Pillen von der dena fügt hinzu, dass der chinesische Markt mittlerweile sogar so weit sei, dass deutsche Firmen aus China ein Stück Innovationskraft zurück in die Heimat tragen könnten. „Inzwischen ist China im gesamten Feld der Energiewende mit vielen vielversprechenden Start-ups vertreten und zeigt, was sich in diesem Bereich alles bewegen lässt. Hier können wir Deutschen auch noch einiges lernen“, sagt sie. Auch diesbezüglich böten sich im Hinblick auf die kommenden Jahre viele Kooperationsmöglichkeiten.
Nicht zuletzt trägt auch die chinesische Regierung durch entsprechende Weichenstellungen dazu bei, die grüne Entwicklung im Land weiter voranzutreiben. Der Bau der umweltfreundlichen Passivhaussiedlung am Rande Beijings wurde durch Zulagen der Regierung gefördert.
Darüber hinaus hat Chinas Hauptstadt bereits grünes Licht gegeben für den Bau neuer Passivhausanlagen mit einer Gesamtfläche von 500.000 Quadratmetern (50万) in den kommenden Jahren, darunter Bürogebäude und Hochhausanlagen sowie Sozialwohnungen, Kindergärten und Schulen. Zudem ist geplant, vermehrt bestehende Bauten nach dem Passivhausstandard nachzurüsten.
Die grüne Stadtentwicklung in China dürfte also in den kommenden Jahren weiter an Fahrt gewinnen, ein Stück weit auch angetrieben durch deutsch-chinesische Kooperationen.
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Themenschwerpunkt Energiewende in China der dena