Es war ein denkwürdiger Moment, als am 4. Februar während der Eröffnungszeremonie der Winterolympiade 2022 in Beijing ein Schneeflockenkessel mit dem olympischen Feuer in die Höhe schwebte. Befeuert wurden die olympischen Flammen nicht etwa wie gewohnt durch verflüssigtes Erd- oder Propangas. Als Brennstoffquelle diente vielmehr Wasserstoffenergie. Das Olympiafeuer von Beijing war damit das erste in der Geschichte der Olympischen Winterspiele, das ohne CO2-Emissionen loderte.
Überhaupt war Umweltfreundlichkeit ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch die gesamte Austragung der Spiele zog. Und Wasserstoff als sauberer Energieträger kam bei den diesjährigen Spielen in großem Umfang zum Einsatz. Anders als andere Energiequellen erzeugt Wasserstoff beim Verbrennen nur Wasser und keine Schadstoffe wie Kohlendioxid. Neben der Nutzung als Fackelbrennstoff fand der grüne Energieträger auch im Bereich Mobilität an den verschiedenen Wettkampforten Anwendung.
Nach Angaben des Forschungsinstituts für Wasserstoff und erneuerbare Energien in Zhangjiakou rollten während der Spiele 710 Wasserstoff-Brennstoffzellen-Fahrzeuge im Wettkampfgebiet Zhangjiakou über die Straßen. 623 davon allein im Bezirk Chongli, einem der Hauptaustragungsorte für die Schnee-Events.
Laut Wang Hewu, geschäftsführender Direktor des Forschungsinstituts und außerordentlicher Professor an der Tsinghua-Universität, sind die Spiele in Chinas Hauptstadt zu einem Vorzeigeevent für den groß angelegten Einsatz von Wasserstoff für künftige Olympiaden geworden. „Während der Sommerspiele 2008 in Beijing und auch bei der Olympiade 2021 in Tokio kamen auch schon einige wasserstoffbetriebene Elektrofahrzeuge zum Einsatz. Hier in Beijing aber haben wir bei den jüngsten Winterspielen mehr als 1200 solcher Fahrzeuge eingesetzt, die größte Zahl in der Geschichte der Olympischen Spiele“, berichtet Wang.
Um den Athleten möglichst viel Komfort zu bieten, hätten die Fahrzeuge in der Regel im Standby-Modus parat gestanden, wenn sie nicht genutzt wurden. Deshalb sei der Energieverbrauch sogar noch vergleichsweise hoch gewesen. „Idealerweise kann ein Kilogramm Wasserstoff etwa fünf Liter Diesel ersetzen und den Kohlendioxidausstoß um etwa 15 Kilogramm reduzieren“, rechnet Wang vor. Nach Angaben des Instituts belief sich der Wasserstoffverbrauch in der Wettkampfzone Zhangjiakou während der Spiele letztlich insgesamt auf nur rund 94,3 Tonnen. Dadurch sei es gelungen, die Kohlenstoffemissionen um rund 1400 Tonnen zu senken, was der Absorptionsfähigkeit von mehr als 68.000 Bäumen entspreche, so Wang.
„Im Vergleich zu herkömmlichen Kraftstoffen wie Diesel und Benzin werden bei der Verbrennung von Wasserstoff auch kein Feinstaub, keine Stickoxide oder andere Schadstoffe freigesetzt. Kurzfristig mögen die Effekte für die Minderung des CO2-Ausstoßes zwar noch gering erscheinen, auf lange Sicht aber zeigen sich erhebliche Vorteile bei der Verringerung von Treibhausgasen“, betont der Experte.
Förderer der Energiewende
Seit 2017 fördert Zhangjiakou als Demonstrationsgebiet für erneuerbare Energien aktiv die koordinierte Entwicklung von Wasserstoffenergie und erneuerbaren Energien sowie technologische Innovationen und Pionieranwendungen in diesem Bereich.
„Unser Institut wurde 2019 gemeinsam von der Stadtregierung Zhangjiakou, dem Beijing Tsinghua Institut für industrielle Forschung und Entwicklung und der China EV 100 Association gegründet”, erklärt Wang. „Unser Ziel ist es, dem Traum einer kohlenstoffarmen Energienutzung ein Stück näher zu kommen und Lösungen für erneuerbare Energien bereitzustellen, die dann idealerweise als Referenz dienen und landesweit repliziert werden können. Wir wollen die Anwendung von Wasserstoffenergie in noch mehr Bereichen fördern.“
Das Institut wird der ihm zugedachten Rolle als Denkfabrik bereits voll gerecht und unterstützt schon jetzt beratend den Prozess der politischen Entscheidungsfindung in Bezug auf die Entwicklung der Wasserstoffenergiebranche. Auch unterstützt es die Regierung dabei, Industrieressourcen zu integrieren, um technologische Innovationen und die praktische Anwendung von Forschungsergebnissen zu fördern. Daneben veranstaltet das Institut außerdem Foren, Symposien und internationalen Austausch zu den Themen Wasserstoffenergie und erneuerbare Energien und lädt in- und ausländische Experten und relevante internationale Organisationen zur Zusammenarbeit ein.
„Zhangjiakou dient quasi als Versuchsfeld für den Einsatz von Wasserstoff-Brennstoffzellen-Fahrzeugen in allen kalten Klimazonen. Wir sammeln hier Erfahrungen für die anschließende Verbreitung der Technologie auch in anderen Teilen der Welt“, sagt Wang. Die Brennstoffzellentechnologie aus heimischer Produktion erfülle schon heute die Anforderungen für den realen Betrieb auf der Straße, sagt er. „Mittlerweile beherrschen wir die Kaltstarttechnologie, die es E-Fahrzeugen ermöglicht, selbst bei Außentemperaturen von bis zu minus 35 Grad Celsius schnell zu starten. Das war vor einem Jahrzehnt noch undenkbar.“
Auf Grundlage der Forschungsarbeit des Instituts wurde ein großes Energiedatenzentrum eingerichtet. Um die Winterolympiade in Beijing besser bedienen zu können, gewährte man Zugriff auf alle Daten aus den Bereichen Wasserstoffproduktion, Betankung, Transport und Fahrzeugbetrieb in Zhangjiakou. Durch Monitoring und Analyse von Daten der gesamten Industriekette habe man erfolgreich das Gesamtlayout optimieren können. Das habe die Sicherheit gewährleistet und Kosten gesenkt, so Wang. Bei den Spielen beteiligte sich das Datenzentrum zudem am Projekt „Reisen mit Wasserstofffahrzeugen“ des Ministeriums für Wissenschaft und Technologie, stellte Datenspeicherung und -anzeige bereit und lieferte damit wissenschaftlich-technologische Unterstützung für grüne Winterspiele.
Bis jetzt hat das Datenzentrum die Entwicklung von 15 Datenprodukten abgeschlossen, darunter Prozessanalysen zu CO2-Peaking und CO2-Neutralität sowie eine Analyse der Stromökonomie der Spiele. Die Arbeit des Zentrums hat die Versorgung mit neuer Energie zur Verbesserung von Qualität und Effizienz, den gesellschaftlichen Fortschritt, die Verbesserung des Lebens der Menschen und die saubere Entwicklung der Olympischen Winterspiele merklich gefördert.
Selbstständige Innovation als Schlüssel
In den letzten Jahren hat China große Durchbrüche in der Erforschung und Anwendung von Wasserstoffenergie erzielt und viele selbstständige Innovationen hervorgebracht. Ein Beispiel hierfür sei der Bereich Fahrzeuganwendung, erklärt Wang. Der kritischste Teil von Brennstoffzellenfahrzeugen sei letztlich das Brennstoffzellensystem. 2015 hätten 90 Prozent der im Inland hergestellten Brennstoffzellenfahrzeuge noch importierte Systeme verwendet. Stand 2019 stammten bereits mehr als 50 Prozent aus heimischer Produktion.
Auch die Wasserstoff-Brennstoffzellensysteme, ein Brennstoffzellenstapel und einige Wasserstoffspeicherzylinder sowie Luftkompressoren, die allesamt während der Spiele in Chongli zum Einsatz kamen, stammten aus heimischer Produktion, genauer gesagt von chinesischen Firmen wie Beijing SinoHytec und Shanghai Shenli Technology. SinoHytec kooperierte außerdem mit Automobilunternehmen bei der Bereitstellung technischer Unterstützung in den Wettbewerbszonen Yanqing und Chongli. Hier kamen mehr als 700 E-Fahrzeuge der Firma zum Einsatz. SinoHytec forscht unter anderem zu zentralen technischen Themen wie der gravimetrischen Energiedichte und der Umweltanpassungsfähigkeit von Wasserstoff-Brennstoffzellensystemen. Basierend auf seiner selbstständigen Forschung und Entwicklung hat die Beijinger Firma international fortschrittliche Brennstoffzellensysteme für Fahrzeuge sowie verwandte Produkte auf den Markt gebracht, für die sie die geistigen Eigentumsrechte hält.
Laut Chinas Roadmap für die Entwicklung von Wasserstoff-Brennstoffzellen-Fahrzeugen aus dem Jahr 2019 sollen bis 2025 fast 100.000 solcher E-Fahrzeuge in Betrieb gehen. Zwischen 2030 und 2035 soll die Zahl auf eine Million ansteigen. China habe bisher fünf Städtecluster zur probeweisen Anwendung der neuen E-Mobilität eingerichtet, so Wang. In Zukunft dürfte diese Zahl noch zunehmen, ist sich der Forscher sicher.
In Bezug auf die neuen Technologien bestünden aber noch immer viele Missverständnisse. So setzten etwa einige Menschen die Wasserstoffenergie noch immer mit Brennstoffzellenfahrzeugen gleich. Wang sagt hierzu: „Wasserstoffenergie ist im Transportwesen noch in der Erprobungsphase. Sie kommt aber auch in einer Vielzahl von Bereichen wie Industrie, Elektrizitätserzeugung und Bauwesen zum Einsatz. Wir hoffen, dass die Verwendung von Wasserstoff bei den Olympischen Winterspielen in Beijing auf lange Sicht die Nutzung dieser sauberen Energie in mehr heimischen Bereichen fördern wird. Das dürfte uns bei der Verwirklichung der Ziele zur Erreichung des Höhepunkts der CO2-Emissionen und der CO2-Neutralität einen großen Schritt weiterbringen.“
Das von der Wasserstoff-Allianz Chinas im April 2021 veröffentlichte Weißbuch über Wasserstoff- und Brennstoffzellenindustrie 2020 zeigt, dass Chinas Wasserstoffenergieerzeugung derzeit weltweit an erster Stelle steht. Es wird erwartet, dass der Produktionswert bis 2025 eine Billion Yuan erreicht. Um das Ziel der Kohlenstoffneutralität bis 2060 zu erreichen, wird Wasserstoff eine bedeutende Rolle in schwer zu dekarbonisierenden Sektoren wie Schwerindustrie, Transport und Innenraumbeheizung spielen. „Die jährliche Nachfrage nach Wasserstoff wird bis 2060 auf etwa 130 Millionen Tonnen anschwellen und sich damit vervierfachen, und der Wasserstoffverbrauch im Transportsektor dürfte 40 Millionen Tonnen überschreiten“, prognostiziert Yu Zhuoping, Direktor des Expertenkomitees der Wasserstoff-Allianz Chinas und Professor an der Tongji-Universität.
Ankurbelung der Wirtschaft
Die Winterolympiade 2022 hat Chinas Errungenschaften auf dem Gebiet der Wasserstoff-Brennstoffzellen-Fahrzeuge eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Tatsächlich tauchten bereits 2018 Wasserstoffbusse auf den Straßen von Zhangjiakou auf. Mittlerweile sind in der Stadt insgesamt 484 Wasserstoff-Brennstoffzellen-Fahrzeuge in Betrieb (darunter auch einige Logistikfahrzeuge). Die 444 E-Busse der Stadt haben bis heute über 62 Millionen Fahrgäste befördert und 21 Millionen Kilometer zurückgelegt. Zhangjiakou ist damit eine der Städte, in denen die meisten Brennstoffzellenfahrzeuge mit der stabilsten Leistung in China betrieben werden. Nicht umsonst wurde sie vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen als das größte Betriebsgebiet für Brennstoffzellenbusse in China bewertet.
Im Jahr 2020 wurde in Zhangjiakou Chinas erstes Innovationszentrum für die Wasserstoffenergieindustrie auf Provinzebene gegründet. Das Demonstrationsstädtecluster für Brennstoffzellenfahrzeuge der Provinz Hebei, das von Zhangjiakou geleitet wird und 13 Städte umfasst (darunter Tangshan in Hebei, Wuhai in der Inneren Mongolei und der Bezirk Fengxian in Shanghai) wurde im Dezember 2021 offiziell genehmigt. Bis heute hat Zhangjiakou außerdem eine ganze Reihe von Richtlinien für die Entwicklung der Wasserstoffenergieindustrie herausgegeben.
Zhangjiakou hat seine Stärken in diesem Industriebereich also erfolgreich genutzt. 18 vor- und nachgelagerte Unternehmen wurden gegründet bzw. angezogen, darunter so bekannte Namen wie SinoHytec und Hypower. Die Vision der Stadt ist es, zu einem Spitzencluster für die Wasserstoffenergieindustrie und zu einer führenden Produktionsbasis für die damit zusammenhängende Ausrüstung in China zu reifen. Gegenwärtig nimmt die integrierte Entwicklung wichtiger vor- und nachgelagerter Industrien wie der Herstellung von Produktions- und Speicheranlagen, Brennstoffzellenmotoren, Schlüsselkomponenten und Wasserstofffahrzeugen sowie Infrastruktur für die Wasserstoffbetankung mehr und mehr Gestalt an.
„In Zukunft wird sich Zhangjiakou weiterhin auf Schlüsselbereiche und Schlüsselkettenglieder der Wasserstoffindustrie konzentrieren. Es sind weitere Projekte zur Erweiterung und Stärkung der Industriekette geplant. Wir setzten also alles daran, eine umfassende Entwicklung in diesem Industriebereich zu realisieren“, sagt Yin Xuguang, Direktor der Hightech-Abteilung der Entwicklungs- und Reformkommission von Zhangjiakou, zum Abschluss.