Der Kulturaufbau und die Förderung des kulturellen Austauschs sind seit Jahren fest in der politischen Agenda der chinesischen Regierung verankert. Im Interview mit China.org.cn. reflektiert Ole Döring – habilitierter Philosoph und promovierter Sinologe – über den Wert vom kulturellen Austausch zwischen China und Deutschland in der heutigen Zeit.
Ole Döring auf dem Daweishan-Gebirge in der chinesischen Provinz Hunan. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Dr. Nie Hongchuan)
Präsident Xi Jinping hat einmal gesagt: „Zivilisationen werden durch den Austausch noch vielfältiger und durch die gegenseitige Wertschätzung noch reichhaltiger." Diesen Satz kann man, so der Sinologe, auch als Ausdruck politischer Verantwortung verstehen. „Anstatt nur mögliche Konflikte, Missverständnisse und Fehler zu betonen, die aus dem Mangel an gemeinsamem Erleben entstehen können, sollten wir auf unsere kulturellen Fähigkeiten achten, einander bereichern und wertvoller machen“, sagte Döring.
In Bezug auf den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland im kulturellen Bereich in den letzten Jahren weist Döring darauf hin, dass es immer weniger Menschen in Europa gebe, die aus eigener Erfahrung wirklich etwas über China wissen. Dieses sei besonders bedauerlich, da die Beobachtung aus der Ferne die Wirkmacht der Veränderungen Chinas im vergangenen Jahrzehnt überhaupt nicht fassen könne. „So ist das Chinabild von uns Deutschen fehlerhaft und veraltet. Wir brauchen dringend mehr persönliche Präsenz, Austausch und Normalität für unser Zusammenleben auf dem Eurasischen Kontinent “, unterstreicht er.
Für den Philosoph hat vor allem der kulturelle Austausch zwischen China und Deutschland Vorteile, insbesondere für die junge Generation. Diese werde enorme Probleme erben, aber auch Zugang zu vielen Mitteln und Wissen, um konstruktiv damit umzugehen. „Das heißt, sie braucht unser bestes und tiefstes Wissen“, erklärt er und fügt hinzu, dass sie auch „gute Gründe haben“ müsse, um zu vertrauen. „Hier kommt es vor allem darauf an, dass die Autoritäten ihre Aufgabe gut erfüllen, als Lehrer, Vorbilder oder Eltern – und auf Freundschaft“, verdeutlicht er seine Ansicht und erläutert, manchmal entstehe Vertrauen gerade daraus, dass Vorbilder Fehler einsehen und korrigieren. So entstehe Zusammenhalt und junge Menschen werden darauf vorbereitet, dem Wirrwarr aus Informationen, Interessen und Möglichkeiten mit Menschlichkeit zu begegnen, indem man Vernunft und Aufklärung in neuen kulturellen Horizonten verwirkliche. Das sei eine Aufgabe, die weit in die Zukunft reiche, ergänzt er.
Bei der Beantwortung der Frage nach einigen typischen Repräsentanten der chinesischen Kultur zeigt Döring seine große Leidenschaft und Wertschätzung Chinesische Literaten wie Mo Yan und Liu Cixin sollen ihn ganz besonders beeindrucken. Sie stehen ihm zufolge für das Spektrum des Realismus in der chinesischen Roman-Literatur, von sozialen Analysen bis zur philosophischen Zivilisationskritik. Auch die bildenden Künste seien voller Ausdruckskraft und Kreativität. „Da kann man keine einzelnen Namen nennen, wenn es um Kultur geht“, betont er. Das gelte auch für die Dichtung, so der China-Kenner und legt dar, sie gehe weit über Worte und Sätze hinaus, indem sie eine ästhetische Gesamtaussage mache, die Liedhaftes und Bildhaftes verwebe, mit Motiven aus der Geschichte und viel verstecktem Sinn, der nicht sofort auf den ersten Blick zu verstehen sei. Auch der Witz, die politische Finesse und gesellschaftliche Schärfe dieses „sinfonischen Genres“ erschließen sich dem deutschen Leser, ihm zufolge, nur durch langes Studium und Hinein-Denken, oder intuitiv, jenseits der Worte.
Für die „Königsdisziplin des Chinesischen“ führt der Sinologe noch einige Beispiele an. „Die Schönheit spricht für sich und setzt ein Zeichen der Hoffnung, z.B. ‘Abschied von einem Freund’ (auf Chinesisch送友人) von Li Bai (701−762) oder ‘Zimmer beim Dayun-Tempel’ (auf Chinesisch大云寺赞公房) von Du Fu (712-770).“ Die größte Herausforderung ist für ihn aber die poetische Philosophie des Zhuangzi (um 365 v. Chr. - 290 v. Chr). „Der taoistische Philosoph repräsentiert nicht nur eine besondere Kultur, sondern dass sein Werk für den Menschen im Allgemeinen steht“, führt er fort.
„Kultur entsteht ja erst aus dem Zusammenwirken der Arbeit vieler Menschen, den verschiedenen Zeiten und Völkern“, sagt er und weist darauf hin, man müsse daher auch an die Quellen und die Zuströme dieses großen Flusses denken. Deshalb wünscht er sich, es gäbe ein Symbol, ähnlich wie für den „unbekannten Soldaten“, auch für die vielen Kulturmenschen, die als Lehrer, Künstler oder Gebildete - als Botschafter der Kultur in fernen Ländern wirken. Das Feine komme aus dem Einfachen. Dafür, dass es ankomme, brauche es viele Hände, Herzen und Gedanken, so Döring.
Ole Döring ist habilitierter Philosoph und promovierter Sinologe. Er arbeitet zwischen Berlin und China an der Verständigung der Kulturen. Er hat eine Vollprofessur an der Hunan Normal University in Changsha inne, ist Privatdozent am Karlsruhe Institut für Technologie und Vorstand des Instituts für Globale Gesundheit Berlin.