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„Künstliche Intelligenz hat ‚Intelligenz‘, aber keine ‚Weisheit‘“

2023-04-06 12:15:00 Source:german.china.org.cn Author:Wang Ran
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Am Montag wurde Fan Jieping auf der diesjährigen Jahrestagung des chinesischen Übersetzerverbandes (China Translation Association, CTA), die vom 3. bis 4. April in Beijing stattfand, mit dem Ehrentitel „Renommierter Übersetzer“ ausgezeichnet. In einem exklusiven Interview mit China.org.cn erklärte der chinesische Germanist, welche Bedeutung die Arbeit von Übersetzern auch im Zeitalter der künstlichen Intelligenz bzw. von Chatbots wie „ChatGPT“ weiterhin hat.

 

„In einer Zeit, in der sich die digitale Technologie so schnell entwickelt, reicht es für Übersetzer nicht mehr, nur Texte und Schriften in andere Sprachen übertragen zu können. Sie müssen darüber hinaus unter anderem auch die Fähigkeiten besitzen, menschliche Emotionen und Wertvorstellungen unterschiedlicher Völker besser zu verstehen, wozu die KI-gestützten Programme wie ChatGPT wahrscheinlich noch nicht in der Lage sind“, erklärte Fan Jieping, Professor und Dekan der Fakultät für europäische Sprachen und Kulturen an der Zhejiang International Studies University, der zugleich als Chair Professor an der Xiamen-Universität, ständiges Vorstandsmitglied des Chinesischen Übersetzerverbandes (CTA) und Präsident des Übersetzerverbandes der Provinz Zhejiang fungiert, im Gespräch.

 

 


Fan Jieping bei dem Seminar für Übersetzung, Rezeption und Forschung für zeitgenössische schweizerische Literatur, das im April 2014 an der Zhejiang-Universität stattfand. Fan war Vorsitzender des Seminars. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Fan Jieping)

 

In Bezug auf die Auszeichnung sagte Fan bescheiden: „Ich ziehe es vor, mich als erfahrenen Übersetzer zu bezeichnen. Den Ehrentitel betrachte ich lediglich als eine Art Ermutigung für meine künftige Arbeit, die für mich noch mehr Herausforderungen bedeutet.“ Zur Rolle des CTA sagte er: „Der Verband als Dachorganisation des Landes bringt nicht nur die besten Übersetzer Chinas zusammen, sondern er hat auch eine Vision, die den Provinz-Verbänden fehlt. Er hat daher eine wichtige Führungsfunktion für die Übersetzungsbranche in ganz China.“

 

„Literarische Übersetzung: eine Art transkulturelle Hermeneutik“ 

 

Fan ist Herausgeber von mehr als 30 akademischen Lektüren, Lehrbüchern bzw. Übersetzungen und Autor von mehr als 70 akademischen Abhandlungen. Er hat überdies eine Reihe wichtiger Forschungsprojekte in Bezug auf Übersetzungen geleitet bzw. daran mitgewirkt. Dazu gehören zum Beispiel Übersetzungen literarischer und philosophischer Arbeiten von Robert Walser, Günter Anders und vor allem von Goethes „Schriften zur Allgemeinen Naturlehre, Geologie und Mineralogie“. Der 6. Band der Forschungsreihe „Studies in the Formation and Dissemination of foreign Literary Classics“, der sich mit der Entstehung, Übersetzung und Verbreitung ausländischer Literaturklassiker im 20. Jahrhundert auseinandersetzt, zählt zu seinen wichtigsten Beiträgen zur Translationsforschung. Seine Übersetzungen von Robert Walsers „Der Spaziergang“ (2003) und Günther Anders‘ „Die Antiquiertheit des Menschen“ (2011) wurden als herausragende Leistungen der Sozial- und Geisteswissenschaften von der Regierung der Provinz Zhejiang ausgezeichnet.

 

Die Preisverleihung im Jahr 2003 für seine Arbeit am „Spaziergang“ bezeichnete Fan als ein bahnbrechendes Ergebnis. Zuvor sei eine Übersetzungsarbeit von der akademischen Gemeinschaft in der Provinz nicht als Forschung angesehen worden, weshalb die Preisverleihung von einer großen Kontroverse begleitet wurde. Letztendlich sei es aber die hohe Qualität der Übersetzung gewesen, die die Jury davon überzeugt habe, den Preis zu verleihen. Übersetzte Werke seien fortan offiziell als ein Teilbereich von Forschungsergebnissen anerkannt worden.

 

Für Fan sei die Übersetzung literarischer Werke nicht einfach als eine „sprachliche Transformation“ zu betrachten, sie sei zugleich eine Art transkulturelle hermeneutische Auseinandersetzung mit den Werken. Sowohl die Übersetzer als auch die Leser, erklärte Fan, würden die kulturellen Gene und Werte ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Gruppe in sich tragen und alle ihre eigene Haltung zur Literatur mitbringen.

 

„Die Deutschen sagen: Du bist, was du isst. In China gibt es das Sprichwort: Mandarinen im Süden schmecken anders als Mandarinen im Norden [Das bedeutet: Wenn sich das Umfeld ändert, ändert sich auch die Art der eigentlich gleichen Sache.]“, zitierte Fan. Die beiden Weisheiten verdeutlichen, dass bei der literarischen Übersetzung die Werte der verschiedenen Kulturkreise berücksichtigt werden sollten. „Deshalb sollte man nicht sofort mit dem Übersetzen eines literarischen Textes anfangen, ohne vorher die notwendigen Forschungsarbeiten zu betreiben. Umgekehrt ist es genau so. Man kann keine Forschung erfolgreich durchführen, ohne zu übersetzen: Beide Aktivitäten fördern sich gegenseitig“, ergänzte er.

 

Ferner betonte der erfahrene Übersetzer, dass die literarische Kommunikation in Wirklichkeit keineswegs „interkulturell“, sondern „transkulturell“ stattfinde. „Interkulturell“ bedeute, dass sich die voneinander abgrenzenden nationalen Kulturen ontologisch gegenüberstünden, die dann sich gegenseitig auseinandersetzten. „Transkulturell“ bedeute aber dagegen, dass die Kulturen, die oft auch auf den gemeinsamen Werten der Menschheit basieren, offener, vielfältiger und inklusiver seien. „In gewissem Sinne verkörpert dies die Idee der menschlichen Schicksalsgemeinschaft,“ so der Professor weiter.

 

 


Fan Jieping (r.) und die schweizerische Autorin Monique Schwitter. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Fan Jieping)

 

„Künstliche Intelligenz ist ein Werkzeug, kein Ungeheuer“ 

 

Der 68-jährige Wissenschaftler ist trotz seines fortgeschrittenen Alters weiterhin von neuen Technologien begeistert und verfolgt stets mit großer Aufmerksamkeit ihre Auswirkungen, vor allem auf die Übersetzungsbranche. Nach der Einführung von ChatGPT, die derzeit viele Branchen verunsichert, hat sich mittlerweile auch in der Übersetzungsbranche Angst breit gemacht.

 

Fan räumte ein, dass diese neue Technologie zwar große Auswirkungen auf die Übersetzungsbranche habe, machte gleichzeitig aber auch klar, dass sie keineswegs ein Ungeheuer darstelle: „Verglichen mit herkömmlicher Übersetzungssoftware bedeutet das Aufkommen von ChatGPT einen neuen Durchbruch. Seine Stärke liegt in seiner Lernfähigkeit, mit der viele Übersetzungsprobleme gelöst werden können. Aber es hat auch Schwächen, nämlich dass es keine menschlichen Emotionen und Wertvorstellungen hat. Man kann deshalb sagen, dass die KI zwar ‚Intelligenz‘, aber keine ‚Weisheit‘ besitzt.“

 

ChatGPT und andere ähnliche Programme könnten zwar eine große Herausforderung für Übersetzungsunternehmen darstellen, die von praktischen Übersetzungsaufgaben leben. Sie seien aber nicht in der Lage, die menschlichen Leistungen bei literarischen oder anderen nicht-anwendungsbasierten Übersetzungen zu ersetzen, schlussfolgerte der Experte: „Wir sollten die KI daher eher als Werkzeug einsetzen.“

 

Abgesehen von den Auswirkungen auf die Übersetzungsbranche ist Fan der Meinung, dass ChatGPT den globalisierten Informationsaustausch beschleunigen und die globale Integration erleichtern könne. Gleichzeitig führe der zunehmende menschliche Austausch jedoch unweigerlich auch zu Missverständnissen. Das Portfolio der notwendigen Kompetenzen eines Übersetzers dürfe sich daher in Zukunft nicht auf die rein sprachliche Transformation beschränken. Stattdessen müssten Übersetzer vielmehr als eine Art Brücke fungieren, die die spirituelle Begegnung und die gegenseitige Wertschätzung der Zivilisationen fördert.

 

Fan betonte, dass China und der Rest der Welt in der heutigen Zeit unzertrennlich miteinander verbunden seien und sich gegenseitig beeinflussen würden. China müsse deshalb wettbewerbsfähige Talente im Bereich der internationalen Kommunikation ausbilden, um sich auf der internationalen Bühne noch mehr Gehör zu verschaffen.

 

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