Die Reform- und Öffnungspolitik stellt einen bedeutenden Wendepunkt in Chinas Geschichte dar. Sie hat nicht nur das schnelle wirtschaftliche Wachstum und den umfassenden sozialen Fortschritt des Landes vorangetrieben, sondern auch den innovativen Austausch und die Zusammenarbeit im Kulturbereich mit anderen Ländern und Regionen auf der ganzen Welt beflügelt.
Mit Chinas zunehmender Öffnung gegenüber der Welt geht auch ein reger gesellschaftlich-kultureller Austausch zwischen China und Österreich einher. Das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker, die österreichische Filmtrilogie „Sissi“, die Aufführung von Mozarts Oper „Die Hochzeit des Figaro“ durch die Wiener Kammeroper, die Wiener Sängerknaben, die österreichische Tegetthoff-Volksmusikkapelle und viele andere österreichische Künstlergruppen und Werke waren in den letzten Jahren auf Chinas Bühnen zu sehen. Und umgekehrt fand auch chinesische Kunst zunehmend ihren Weg in die Alpenrepublik.
Für mich persönlich war es ein besonderes und unvergessliches Erlebnis, den ersten Auftritt des China National Traditional Orchestra (CNTO) im Wiener Musikverein zu planen und zu organisieren. Diese Erfahrung hat mir deutlich gemacht, dass wir nicht nur ein tiefes Verständnis für die ausländische Kultur benötigen, sondern auch kreativ denken müssen, wenn wir die chinesische Kultur in die Welt tragen und ihr wahres Wesen herausschälen wollen.
Die Fassade des Wiener Musikvereins im Januar 2023. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Jia Jianxin)
Der Wiener Winter ist kalt und schneereich, aber das Neujahrskonzert, das jedes Jahr am 1. Januar im Goldenen Saal im Herzen der Musikmetropole stattfindet, verleiht dieser wunderschönen Stadt eine angenehme Wärme. Das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker, das 1941 ins Leben gerufen wurde, ist seit über einem halben Jahrhundert Musikfreunden aus aller Welt bekannt. Während die Menschen die eleganten Strauss-Walzer genießen, lernen sie auch das Musikland Österreich, die Wiener Philharmoniker und große Dirigenten wie Herbert von Karajan, Carlos Kleiber, Claudio Abbado, Zubin Mehta, Lorin Maazel, Riccardo Muti und Seiji Ozawa kennen, um nur einige von ihnen zu nennen. Bis 1996 allerdings hatte noch kein einziges chinesisches Orchester einen Fuß auf diese große Bühne der Musikwelt gesetzt.
Da zum damaligen Zeitpunkt noch keine offizielle kulturelle Austausch- und Kooperationsvereinbarung zwischen China und Österreich bestand, wurden viele große interkulturelle Austauschaktivitäten von privaten Institutionen organisiert, mit Unterstützung beider Regierungen. 1996 war Wu Zezhou, Vorsitzender des Jinxiu Gongda Cultural Exchange Center in Beijing, zu Gast in der Kulturabteilung der chinesischen Botschaft in Österreich. Während des Gesprächs kristallisierte sich heraus, dass alle die Idee hatten, ein chinesisches Konzert im Goldenen Saal in Wien zu veranstalten. Welche Art von Orchester allerdings eingeladen werden sollte, darüber gingen die Meinungen auseinander. Sollte es ein Symphonieorchester sein, was den musikalischen Vorlieben des europäischen Publikums entsprochen hätte? Oder eine der zum damaligen Zeitpunkt in Europa eher unbekannten Volksmusikgruppen der Volksrepublik?
Meine Ansicht war, dass bei der Organisation derartiger interkultureller Austauschaktivitäten und der Präsentation hochwertiger chinesischer Kulturprodukte eine überraschende und besonders eindrückliche Wirkung erzielt werden sollte. In Sachen künstlerischer Virtuosität können chinesische Volksmusikgruppen westlichen Symphonieorchestern schließlich eindeutig das Wasser reichen. Chinesische Musikaufführungen mit orientalischen Instrumenten, die Europäern kaum bekannt sind, versprachen eine große Wirkung bei wenig Aufwand. Nach eingehenden Diskussionen waren wir uns einig und richteten unsere Aufmerksamkeit auf das CNTO.
Im Dezember 1997 waren die Vorbereitungen für den Auftritt des CNTO im Goldenen Saal in der Endphase. Ein Problem jedoch war noch immer ungelöst: Klassische chinesische Musikinstrumente wie Erhu, Pipa, Suona, Guqin, Flöte, Xiao und Xun waren für das europäische Publikum ebenso völliges Neuland wie die klassischen chinesischen Musikstücke selbst. Um den Zuhörern ein besseres Verständnis der Instrumente und Stücke zu ermöglichen, sodass sie das Konzerterlebnis in vollen Zügen genießen konnten, war also eine effektive Einführung erforderlich. Es erschien uns als beste Lösung, einen in chinesischer Musik versierten, bekannten österreichischen Musiker einzuladen, der durch den Abend führe sollte. Schließlich hatten wir das Glück, den damals 86-jährigen österreichischen Musikprofessor und Opernkritiker Marcel Prawy als Moderator für den Abend zu gewinnen.
Glanzvoller musikalischer Sprung ins Tigerjahr: Am 27. Januar 1998, dem chinesischen Silvesterabend, fand das Neujahrskonzert des China National Traditional Orchestra im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins statt. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Jia Jianxin)
Am 27. Januar 1998 fiel der erste verheißungsvolle Schnee, der die Wiener Altstadt in einen winterlichen „Pelz“ hüllte. Gleichzeitig war es der Silvesterabend vor dem Beginn des neuen Jahres nach dem chinesischen Mondkalender, das im Zeichen eines anderen pelzigen Gefährten stand: des Tigers. Punkt 19:30 Uhr, als man die zehn massiven Kronleuchter im Goldenen Saal leicht dimmte, wurde es in dem mit 8000 roten Rosen dekorierten Festsaal im Nu mucksmäuschenstill. Die berühmten Moderatoren Herr Chen Duo von China Central Television und Frau Yuan Ming von Shanghai Oriental Television betraten die Bühne und übermittelten dem Wiener und dem chinesischen Publikum auf Englisch und Chinesisch ihre festlichen Grüße und läuteten damit das Neujahrskonzert ein.
Unter Leitung des Dirigenten Chen Xieyang spielte das Orchester zum Einstieg die Nationalhymnen Österreichs und Chinas, wobei sich das gesamte Publikum feierlich erhob. Die Darbietung der Nationalhymnen brachte die Zuhörer beider Länder einander sofort emotional näher und verkürzte die psychologische Distanz zwischen dem Orchester und dem Publikum. Danach stimmte das CNTO klassische chinesische Volksmusikstücke an, darunter so bekannte Titel wie „Frühlingsfest-Ouvertüre“, „Erquan Ying Yue“ (Reflexionen des Mondes auf Erquan) und „Eine mondhelle Nacht am Frühlingsfluss“. Die Werke entführten das österreichische Publikum musikalisch in eine ganz neue, fremde Welt, fern von den Walzern der Strauss-Familie.
Der trotz seines hohen Alters vor Energie strotzende Marcel Prawy machte seinem Ruf alle Ehre, indem er einen Stofftiger im chinesischen Stil auf dem Arm hielt und dem Wiener Publikum zwischen den Stücken auf humorvolle Weise die chinesische Musik, ihre Instrumente sowie die Geschichte und Bräuche dahinter näherbrachte. Um das Publikum aus der Reserve zu locken, war sich der Senior selbst nicht dafür zu schade, die Bewegungen des Affenkönigs Sun Wukong aus der Pekingoper nachzuahmen, was das Konzert noch unterhaltsamer machte.
Der Konzertabend im Goldenen Saal war in vollem Gange und die Atmosphäre euphorisch. Die von den chinesischen Volksinstrumenten gespielte „Pizzicato Polka“ entlockte dem österreichischen Publikum das eine oder andere bewundernde Seufzen. Der „Radetzky-Marsch“ war das i-Tüpfelchen der Performance. Auf und neben der Bühne verschmolzen der fröhliche Rhythmus der Musik und der Applaus des Publikums miteinander. Als die Aufführung zu Ende war, hatten die mehr als 2000 Zuschauer immer noch nicht genug. Unter ihrem Jubel aus Klatschen, Stampfen und Pfeifen spielte das CNTO vier Zugaben, etwa das Stück „Gute Nachrichten von Beijing in die Grenzdörfer“. Am Ende des Konzerts zogen Chen Xieyang und die Orchesterspieler unter dem zehnminütigen Beifall des Publikums mehrmals den Vorhang wieder auf, bevor sie die Bühne verlassen konnten.
Kurt Waldheim, ehemaliger Generalsekretär der Vereinten Nationen und früherer Bundespräsident Österreichs, der auf der Ehrentribüne saß, stand auf und sagte zu mir: „Das heutige Konzert hat mich zutiefst bewegt. Die chinesische Musik ist einzigartig und wunderschön, und sie bringt die Gefühle des chinesischen Volkes auf tiefsinnige und wunderbar harmonische Weise auf den Punkt. Das österreichische Publikum hat wirklich seine Freude daran.“
Am 25. Oktober 2007 wurde die Ausstellung „China – Facing Reality“ im Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (mumok) eröffnet. (Foto: Liu Gang / Xinhua)
Die Zeit verging wie im Fluge. Seit dem Premierenauftritt des CNTO im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins sind mittlerweile 25 Jahre ins Land gegangen. Inzwischen hat der Kulturaustausch zwischen China und Österreich mit der fortschreitenden Reform und Öffnung weiter Fahrt aufgenommen. Die zwischenstaatlichen Kontakte sind lebendiger als je zuvor, und durch zahlreiche Besuche und gegenseitigen Austausch wird die Grundlage der bilateralen Beziehung im öffentlichen Bewusstsein immer weiter gefestigt.
Am 14. Oktober 2014 traten die Wiener Sängerknaben in Chinas Nationalem Zentrum für darstellende Künste auf. (Foto: Luo Xiao / Xinhua)
Beispielsweise fand im Oktober 2007 im Museum für moderne Kunst in Wien unter dem Titel „China – Facing Reality“ eine Ausstellung für chinesische Gegenwartskunst statt. Im Januar 2013 veranstaltete das Chinesische Kunstmuseum eine Schau mit Werken des österreichischen Künstlers Werner Berg unter dem Titel „From Expressionism to Pop Art“. Im Oktober 2014 traten die Wiener Sängerknaben im Nationalen Zentrum für darstellende Künste in China auf. Zur Feier des 50. Jahrestages der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen im Jahr 2021 stellten das Central Conservatory of Music (CCOM) in Beijing und die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw) gemeinsam ein von der Branche und dem chinesischen und österreichischen Publikum hoch gelobtes „Cloud Music Festival“ auf die Beine. Um den Menschen in aller Welt China durch das Medium Musik näher zu bringen, schloss das CCOM 2023 eine Partnerschaft mit dem renommierten österreichischen Musikverlag Universal Edition (UE) ab. Die Liste der Kooperationen könnte an dieser Stelle noch lange fortgesetzt werden.
Der Facettenreichtum und die Vielfalt der Kulturen, wie wir sie heute erleben, sind ganz klar das Ergebnis von Austausch und gegenseitigem Lernen. Der Austausch und die Zusammenarbeit zwischen China und Österreich im Kulturbereich sind wie eine goldene Melodie, die bewegende Echos aussendet. Ich freue mich darauf, dass China und Österreich ihren Austausch in Zukunft noch weiter ausbauen, die Zusammenarbeit stetig vertiefen und die Völkerfreundschaft gemeinsam weiter festigen.
*Jia Jianxin war zweimal als Botschaftsrat der Kulturabteilung an der chinesischen Botschaft in Österreich tätig und wurde vom österreichischen Bundespräsidenten mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet.