Bezaubernde Musik aus Österreich erfüllte Anfang September das im Barockstil erbaute Beijing Lafayette Castle, ein gehobenes Hotel im Herzen der chinesischen Hauptstadt. Die Klänge stammten vom Grazer Universitätsorchester, das damals in der Metropole gastierte. Das Ensemble stimmte unter anderem den chinesischen Klassiker „Erntefest“ an – passend zur Erntezeit. Zu den Ehrengästen gehörte Lei Fengyun, ehemaliger Wissenschafts- und Technologieberater an der chinesischen Botschaft in Österreich. Er traf in Beijing mit alten Freunden zusammen, allen voran mit Peter Riedler, dem Präsidenten der Universität Graz.
Lei war vor fünf Jahren an die chinesische Botschaft in Österreich berufen worden, wo er im Rahmen der freundschaftlichen strategischen Partnerschaft zwischen China und Österreich die Zusammenarbeit im Bereich der wissenschaftlich-technologischen Innovation sowie des Austausches von Talenten förderte. Seitdem hat Lei viele österreichische Experten kennengelernt, die ihr Interesse bekundet haben, enger mit China zusammenzuarbeiten. Gemeinsam mit chinesischen Experten haben sie die pragmatische Zusammenarbeit in Wissenschaft, Bildung und Talentaustausch zwischen beiden Ländern energisch vorangebracht. „Gute zwischenstaatliche Beziehungen hängen von Völkerfreundschaft ab“, sagt Lei im Exklusivinterview mit China Heute am Rande des Konzerts, „und Völkerfreundschaft wiederum hängt von Völkerverständigung ab.“
Glanzvoller Auftritt des Grazer Universitätsorchesters am 4. September 2024 im Beijinger Lafayette Castle
Eine gesündere Welt dank TCM
Die Universität Graz mit ihrer über vierhundertjährigen Geschichte ist in Europa sehr berühmt. Lei Fengyun hat dort noch einen weiteren alten Freund – Rudolf Bauer, Leiter des Forschungszentrums für Traditionelle Chinesische Medizin und zugleich Direktor des Instituts für Pharmazeutische Wissenschaften. Bauer ist Träger des Freundschaftspreises der chinesischen Regierung, der höchsten Auszeichnung Chinas für ausländische Staatsbürger.
Bauers chinesischer Name lautet 儒德 (Rú Dé), was so viel wie „moralisch und elegant“ bedeutet. Den Österreicher verbindet eine tiefe Zuneigung zu China und der chinesischen Kultur. Er liebt die TCM und ist überzeugt, dass diese einen großen Beitrag zur Schaffung einer gesünderen Welt leisten kann. Es sei sein Bestreben, die Wirksamkeit von TCM aus der Sicht eines westlichen Wissenschaftlers zu erklären, erzählt er, und der Welt so die traditionelle Heilkunst aus China ein Stück näher zu bringen.
„Der TCM-Austausch zwischen China und Österreich hat lange Tradition. Er gilt als einer der erfolgreichsten und vorbildlichsten Bereiche der Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern“, erklärt uns Lei im Interview. Standardisierte klinische Forschung und anerkannte Produktstandards bildeten die Grundlage für die weltweite Akzeptanz der Traditionellen Chinesischen Medizin. Als Vorsitzender der TCM-Arbeitsgruppe der Europäischen Arzneibuch-Kommission ist Bauer an der Qualitätsbewertung von TCM-Arzneien und -Verfahren beteiligt. Bislang hat er dazu beigetragen, dass mehr als 80 chinesische Einzelwirkstoffe in das Europäische Arzneibuch – das offizielle Kompendium der pharmazeutischen Standards in Europa – aufgenommen wurden.
Bauer pendelt das ganze Jahr über zwischen China und Österreich und engagiert sich für den Austausch zwischen jungen Forscherinnen und Forschern aus beiden Welten. Er hat bereits über 240 österreichische Pharmaziestudierende nach China entsandt, damit sie die TCM und die chinesische Kultur live vor Ort kennenlernen. Im Gegenzug hat auch sein Labor in Österreich schon hunderte chinesischer Wissenschaftler und Studierender empfangen. So hat sich über die Jahre eine handverlesene Gruppe internationaler Talente herausgebildet, die die TCM nun weltweit fördern.
Gemeinsam mit Experten und Wissenschaftlern von gut einem Dutzend österreichischer Universitäten in den Bereichen Pharmazie und Akupunktur-Moxibustion hat Bauer eine langfristige und stabile Zusammenarbeit mit der Chinesischen Akademie für Traditionelle Chinesische Medizin (CATCM) aufgebaut und mehrere chinesisch-österreichische TCM-Seminare organisiert.
Kurz nachdem Lei sein Amt in Wien angetreten hatte, brach die Coronapandemie aus. Der chinesische Gesandte erinnert sich noch gut an das Videoseminar, dass die CATCM und die Universität Graz mit Unterstützung der chinesischen Botschaft in Österreich im Mai 2020 gemeinsam abhielten. Thema war die Rolle der TCM im Kampf gegen COVID-19.
„Die traditionelle chinesische Arzneilehre hat in der Menschheitsgeschichte immer wieder eine wichtige Rolle bei der Reaktion auf plötzlich auftretende schwere Infektionskrankheiten gespielt“, betonte Bauer damals auf dem Seminar. Angesichts der damaligen Verbreitung von COVID-19 schlug der Forscher vor, einen Mechanismus für ein chinesisch-österreichisches kooperatives Forschungsprojekt zur Pandemiebewältigung durch TCM ins Leben zu rufen.
Im September 2020 genehmigte daraufhin das chinesische Ministerium für Wissenschaft und Technologie ein gemeinsames Labor zur chinesisch-österreichischen TCM-Kooperation zur Prävention und Behandlung schwerer Infektionskrankheiten, und zwar im Rahmen der Seidenstraßeninitiative. Es war das erste gemeinsame TCM-Labor auf nationaler Ebene im Rahmen der Neuen Seidenstraße. Bauer, der Chefexperte des Labors, sagte, er hoffe, dass die neue Kooperationseinrichtung die bilaterale Zusammenarbeit bei der Entdeckung neuer wirksamer Substanzen zur Behandlung von Pandemien erleichtern werde, ebenso wie gemeinsame Innovationen in Schlüsseltechnologien in der Grundlagenforschung, damit die TCM zukünftig in noch größerem Umfang zur Behandlung plötzlich auftretender schwerer Infektionskrankheiten eingesetzt werden könne.
Staatspräsident Xi Jinping hat sich in zahlreichen Gesprächen mit ausländischen Experten in China deren Arbeit und Leben angenommen und sie ermutigt, sich an der Entwicklung Chinas zu beteiligen und die internationale Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technologie zu fördern. Es sei die große Aufgeschlossenheit, hervorragende Fachkräfte aus aller Welt zu gewinnen und sie gut einzusetzen, die letztendlich geholfen habe, den Kampf gegen das Coronavirus zu gewinnen, sagt Lei. Diese Aufgeschlossenheit werde auch in Zukunft eine entscheidende Rolle dabei spielen, die Menschheit zu einer Gesundheitsgemeinschaft zusammenzuschließen.
Lei Fengyun gratuliert seinem alten Freund Rudolf Bauer zum Gewinn des Freundschaftspreises der chinesischen Regierung 2020. Das Foto entstand während Leis Besuch an der Universität Graz im September 2022.
Eine lange Verbindung
Während seiner Arbeit in Österreich lernte Lei zudem Herbert Mang kennen, angesehener Professor an der Shanghaier Tongji-Universität und Mitglied der Chinesischen Akademie für Ingenieurswissenschaften. Der Österreicher ist ein international anerkannter Experte für Baustatik und numerische Mechanik und war einst Vizepräsident der Technischen Universität Wien sowie Dekan der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Im vergangenen Jahr erhielt auch er den Freundschaftspreis der chinesischen Regierung.
Mangs Verbindung zu China reicht bis ins Jahr 1981 zurück. Damals kam er als Experte der UN-Organisation für industrielle Entwicklung nach China. Am Forschungsinstitut für Maschinenbau in Zhengzhou, Henan, sah er die harten Arbeitsbedingungen der dortigen Wissenschaftler und Techniker und war beeindruckt von deren ausdauerndem Engagement. Er beschloss, eine langfristige Zusammenarbeit aufzubauen.
2007 fiel schließlich auf Mangs Initiative der Startschuss zur Gründung des Chinesisch-Österreichischen Forschungszentrums für Tunnel- und Untertagebau an der Tongji-Universität. Es ist Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen der Universität und dem Eurasian-Pacific Uninet, dem größten unabhängigen Universitätsnetzwerk seiner Art in Europa, das sich der Förderung des interdisziplinären wissenschaftlichen Austausches verschrieben hat. Über die Plattform pflegen Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern seither regelmäßigen akademischen Austausch und suchen die Kooperation, darunter Wissenschaftler aus Deutschland, Großbritannien, Italien und der Schweiz.
Im Namen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hat Mang mehrere Memoranden zur Kooperation mit der Chinesischen Akademie der Wissenschaften unterzeichnet und die Einrichtung des besagten Forschungszentrums sowie eines Gemeinschaftslabors für Erdbebeningenieurwesen ins Rollen gebracht. Der Tausendsassa war auch an einigen großen Infrastrukturprojekten in China beteiligt, darunter die Hongkong-Zhuhai-Macao-Brücke, die längste Meeresbrücke der Welt. Hier half der Ingenieur vor allem bei der Lösung technischer Herausforderungen im Zusammenhang mit der Erdbebensicherheit des Unterwassertunnels.
Seit 2004 bilden Tongji-Universität und TU Wien zudem gemeinsam Doktoranden, Postdoktoranden und junge Lehrkräfte im Bauingenieurwesen aus und veröffentlichen gemeinsame Publikationen. Auch hat man im Schulterschluss drei Großprojekte auf die Beine gestellt. Die gemeinsame Forschung, die sich vor allem auf Tunnel- und Untertagebau konzentriert, hat große Bauprojekte wie die Hongkong-Zhuhai-Macao-Brücke und den Tunnel-Brücken-Komplex am Jangtse-Fluss in Shanghai vorangebracht. 2021 erhielten beide Universitäten Unterstützung durch Chinas Nationales Schlüsselprogramm für Forschung und Entwicklung, und zwar im Rahmen des Projekts „Internationale zwischenstaatliche Zusammenarbeit bei wissenschaftlicher und technologischer Innovation“.
Im Jahr 2019 wählte China Mang für den nationalen Preis für internationale Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technologie aus. 2020 reiste Mang eigens nach China, um die Auszeichnung in der Großen Halle des Volkes in Beijing entgegenzunehmen. Im Jahr 2021, dem 50. Jubiläumsjahr der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen China und Österreich, veranstalteten die Tongji-Universität und die TU Wien gemeinsam ein internationales Symposium zur interdisziplinären Forschung im Bauingenieurwesen, bei dem die Geschichte der Zusammenarbeit zwischen den beiden Universitäten seit 2004 sowie die Kooperation und der Austausch zwischen China und Österreich beleuchtet wurden.
„Die wichtigste Errungenschaft, die ich in den letzten 40 Jahren in der Zusammenarbeit mit China im Bauingenieurwesen erreicht habe, ist die gemeinsame Ausbildung zahlreicher vielversprechender Nachwuchstalente in Wissenschaft und Industrie, schwärmt Mang. Mit Projekten wie der Qinghai-Xizang-Eisenbahn, dem Süd-Nord-Wasserumleitungsprojekt und der Hongkong-Zhuhai-Macao-Brücke sei China heute eine führende Kraft in der Ingenieurtechnik. „Die Zukunft liegt hier ganz klar in China. Wir setzen unsere Hoffnung auf Chinas Nachwuchskräfte“, sagt der österreichische Wissenschaftler.
Lei Fengyun (erste Reihe, dritter von links) nimmt im Oktober 2022 an einer Veranstaltung zum Wissenschafts- und Technologieaustausch zwischen China und Österreich an der Universität für Bodenkultur in Wien teil.
Hidden Champions und kleine Riesen
In Bezug auf die Wirtschafts- und Handelskooperation, die durch den wissenschaftlichen und technologischen Austausch zwischen China und Österreich vorangetrieben wird, sagt Lei, dass sich insbesondere seit 2018 noch einmal neue Möglichkeiten ergeben hätten. Damals seien die beiden Länder eine freundschaftliche strategische Partnerschaft eingegangen. In jenem Jahr hatten auch der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen und der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz China besucht, begleitet von mehreren Ministern, dem Präsidenten der Wirtschaftskammer Österreich und den Leitern einiger renommierter Unternehmen und „Hidden Champions“.
Zu den besagten Firmen zählten auch die AST Eis- und Solartechnik GmbH und Doppelmayr Cable Car. Beide Unternehmen waren damals bereits auf dem chinesischen Markt aktiv. Chinas Wintersportindustrie befand sich zu jenem Zeitpunkt gerade im Aufwind, beflügelt durch die erfolgreiche Bewerbung um die Austragung der Winterolympiade 2022 in Beijing und das Versprechen von Staatspräsident Xi, 300 Millionen Menschen in China für den Wintersport zu begeistern. Österreich als Branchenmotor konnte die enormen Chancen des chinesischen Marktes erfolgreich für sich nutzen.
Der Traditionsbetrieb Doppelmayr wurde 1893 gegründet. Heute ist er Weltmarktführer im Seilbahnbau, zählt über 15.000 Seilbahnen in 96 Ländern und Regionen. Er lieferte auch die Seilbahnausrüstung für die Olympischen Winterspiele in Beijing. Bis heute wurden durch das Unternehmen über 140 Seilbahnen für chinesische Touristenattraktionen und Skigebiete gebaut bzw. befinden sich im Bau. In China hält Doppelmayr einen Marktanteil von über 60 Prozent.
Den Begriff „Hidden Champion“ wurden 1990 vom deutschen Managementexperten Hermann Simon geprägt. Gemeint sind höchst erfolgreiche kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die der breiten Öffentlichkeit jedoch unbekannt sind. Diese „Hidden Champions“ verfügen in der Regel über eine Vielzahl gut ausgebildeter Fachkräfte, schnelle Umsetzungsfähigkeiten und kontinuierliche Innovationskraft. Sie dringen tief in ihre Nischenmärkte ein, profitieren von der Globalisierung und werden zu Marktführern mit großem Einfluss in ihren jeweiligen Branchen.
Mit dem Ausbau der Beziehungen zwischen China und Österreich sind einige österreichische „Hidden Champions“ auch in den chinesischen Markt eingetreten. Lei wundert das nicht. „China ist schließlich für sein hohes Innovationstempo bekannt. Immer mehr technologiebasierte Unternehmen sind bereit, sich in China zu entwickeln“, sagt er.
Auch China hat seine Version der „Hidden Champions“, nämlich KMU, die sich durch hohe Spezialisierung, Qualität, Wettbewerbsstärke und Innovationskraft auszeichnen. Diese Firmen sind in ihren Nischenmärkten stark, verfügen über große Marktanteile und punkten vor allem bei Schlüsseltechnologien. Chinas Ministerium für Industrie und Informationstechnologie hat 12.000 solcher KMU als „kleine Riesen“ zertifiziert, das chinesische Pendant zu den „Hidden Champions“.
Im November 2022 fand in Beijing das China-EU-Forum zur nachhaltigen Entwicklung von KMU statt, gemeinsam ausgerichtet vom Chinesischen Verband für internationale KMU-Zusammenarbeit, dem Deutschen Mittelstands-Bund und dem österreichischen Verein zur Förderung der Berufsbildung. Im Rahmen des Forums diskutierten Experten, Wissenschaftler und KMU-Vertreter aus neun Ländern über die Themen Digitalisierung und internationale Zusammenarbeit und loteten neue Wege der Win-Win-Zusammenarbeit und der nachhaltigen Entwicklung aus.
Österreichs „Hidden Champions“ und die besagten chinesischen Firmen können viel voneinander lernen, ist sich Lei sicher. „Das Ergebnis der Zusammenarbeit wird ganz klar eine Win-Win-Situation sein, da eine verstärkte Kooperation die Transformation und Modernisierung kleiner und mittelständischer Betriebe fördert und auch die Entwicklung von Fertigungssektor und Realwirtschaft voranbringt.“ Gleichzeitig werde die Zusammenarbeit dazu beitragen, wichtige Knotenpunkte in den Industrie- und Lieferketten zu verbinden und so einen starken Impuls für ein qualitätsorientiertes Wirtschaftswachstum zu geben.