Auf seiner 46. Sitzung im indischen Neu-Delhi hat das UNESCO-Welterbekomitee Beijings Zentralachse in die offizielle Liste des Welterbes aufgenommen. Damit ist die Zahl der chinesischen Stätten, die es in die UNESCO-Liste geschafft haben, auf 59 gestiegen. Darunter finden sich 40 Kulturerbe- und 15 Naturerbe-Stätten sowie vier Stätten, die auf beiden Listen verzeichnet sind. Chinas Welterbestätten bereichern nicht nur den bunten Garten der Weltzivilisationen, sondern spiegeln auch Chinas neue Stärke beim Schutz des Welterbes.
Touristenansturm: Jedes Jahr pilgern zahlreiche in- und ausländische Besucher zu den Mogao-Grotten, einer Weltkulturerbe-Stätte bei Dunhuang in der Provinz Gansu.
Verantwortung für den Kultur- und Naturschutz
Der Schutz von Welterbestätten startete bereits 1972. Damals fand die 17. Sitzung des UNESCO-Welterbekomitees in Paris statt, auf der man erkannte, dass viele Kultur- und Naturstätten von Naturgefahren, der gesellschaftlichen Entwicklung und Kriegswirren bedroht waren. Am 16. November 1972 verabschiedete die UNESCO deshalb ihr Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt. Die Übereinkunft betont, dass wertvolle Kultur- und Naturdenkmäler unersetzbare Schätze für die gesamte Menschheit darstellen. Daher ruft die UNESCO alle Länder dazu auf, dieses Erbe gezielt gemeinsam zu schützen. China trat dem Übereinkommen 1985 bei und übernimmt seither klare Verantwortung für den Schutz des Welterbes.
Die Kriterien für die Aufnahme als Welterbe sind äußerst streng. Um in die Liste zu gelangen, muss eine Stätte entweder von bedeutsamem ideellen Wert sein oder ein Paradebeispiel eines bestimmten Typus von Gebäuden, architektonischen Ensembles oder Landschaften darstellen. Auch Stätten, die in unmittelbarer oder klar erkennbarer Weise mit wichtigen Ereignissen oder künstlerischen und literarischen Werken von außergewöhnlicher Bedeutung verknüpft sind, schaffen es in die Auflistung. Darüber hinaus sind für Kulturstätten die Authentizität und für Naturstätten die Integrität zwei maßgebliche Kriterien. Derart strenge Auswahlmaßstäbe gewährleisten ein gewisses Maß an Seltenheit und Repräsentativität der jeweiligen Erbestätten.
1978 nahm das UNESCO-Welterbekomitee die ersten zwölf Stätten in die Welterbe-Liste auf. Heute ist die Zahl auf 1199 Einträge angewachsen. Dazu gehören sowohl kulturelle und historische Überbleibsel verschiedener Zivilisationen und Epochen, als auch Städte, architektonische Ensembles und Stätten, die das 20. Jahrhundert repräsentieren. Längst streben alle Länder eine Aufnahme in die Welterbe-Liste an. Bis zur Bewilligung legen sie die tieferen Werte der Antragsstätten systematisch frei, was ein besseres Verständnis der eigenen Geschichte und Kultur fördert.
Kulturschätze als Spiegel der chinesischen Zivilisation
1987 fanden sechs chinesische Standorte Eingang in die UNESCO-Liste: die Große Mauer, das Taishan-Gebirge, die Mogao-Grotten von Dunhuang, das Mausoleum des ersten Qin-Kaisers und seine Terrakotta-Armee in Xi’an, die Verbotene Stadt in Beijing und die Fundstätte des Beijing-Menschen in Zhoukoudian.
Dank generationsübergreifenden Engagements zählt China heute 59 Welterbestätten. Sie spiegeln eindrucksvoll die Grundfesten der chinesischen Zivilisation. Die Ruinen von Liangzhu beispielsweise zeigen einen der vielfältigen Ursprünge der chinesischen Zivilisation. Die Ruinen Yinxu geben derweil Aufschluss über die frühe Gesellschaftsstruktur im alten China. Die Große Mauer, das Qingcheng-Gebirge und das Bewässerungssystem Dujiangyan sowie auch der Große Kanal sind hingegen frühe Pionierbespiele für das Thema Mensch und Nachhaltigkeit. Der berühmte Kaiserpalast und der Himmelstempel in Beijing sowie die klassischen Gärten von Suzhou sind Sinnbilder typischer chinesischer Ästhetik. Der Potala-Palast in Lhasa, die Tulou-Rundhäuser in Fujian und die berühmten Honghe-Hani-Reisterrassen verkörpern ebenfalls verschiedene Facetten und die Vielfältigkeit der chinesischen Kultur. Derweil stellen die transnationale Welterbestätte „Seidenstraßen: das Straßennetzwerk des Chang'an-Tianshan-Korridors“ und das von 22 funktional und räumlich miteinander verbundenen historischen Relikten zusammengesetzte Kulturgut „Quanzhou: Weltzentrum des maritimen Handels in der Song- und Yuan-Dynastie“ die Inklusivität der chinesischen Zivilisation eindrucksvoll unter Beweis.
All diese Welterbestätten umfassen eine lange Zeitspanne. Sie schlagen den Bogen von der Frühgeschichte und den Anfängen der chinesischen Zivilisation über verschiedene historische Dynastien bis hin zu Chinas Gegenwart. An diesen Kulturschätzen lassen sich die Kontinuität, Kreativität, Integrität, Inklusivität und Harmonie Chinas ablesen.
Die Aufnahme der Zentralachse in Beijing in die Welterbeliste wiederum ist ein weltweites Symbol für die historische Fortführung von Kultur. Dieses architektonische Rückgrat der Hauptstadt zeugt von Chinas Entwicklung und wird auch in Zukunft die Metropole kulturell prägen.
Mit der erfolgreichen Welterbe-Bewerbung der Zentralachse rückte auch der Schutz der gesamten Altstadt Beijings noch stärker in den Fokus. Grundfrage war und ist hierbei, wie sich der Schutz des antiken Erbes mit den Erfordernissen der modernen Stadtentwicklung in Einklang bringen lässt. Hier kann China mittlerweile mit ganz eigenen Lösungsansätzen und Erfahrungen aufwarten.
Vom Nehmerland zum Geberland
China war bisher viermal als Mitglied im Welterbekomitee vertreten und Gastgeber der 18. und der 44. Sitzung des UNESCO-Welterbekomitees. Sowohl bei der Verwaltung der Welterbestätten und Verfeinerung der Aufnahmekriterien, als auch bei der Überarbeitung der Richtlinien und der Bereitstellung technischer Unterstützung hat China wichtige Beiträge geleistet.
China wirkte unter anderem aktiv an der Ausarbeitung des Nara-Dokuments zur Echtheit/Authentizität (1994), der Erklärung von Xi'an zur Erhaltung des Umfelds von Baudenkmälern, historischen Stätten und Denkmalbereichen (2005) sowie des Beijing-Dokuments zur Erhaltung und Restaurierung der Kulturdenkmäler in der Region Ostasien (2007) mit. Außerdem engagierte sich die Volksrepublik bei der Erforschung der nachhaltigen Entwicklung des historischen Erbes, des Wiederaufbaus von Welterbestätten nach Katastrophen und dem Schutz antiker Stätten in Städten und brachte somit wertvolles Knowhow ein.
In den ersten Jahren nach seinem Beitritt zum Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt erhielt China zunächst jede Menge technische und finanzielle Unterstützung zahlreicher Länder und internationaler Organisationen, wodurch es seine Kompetenzen und Kapazitäten entscheidend ausbauen konnte. Mittlerweile hat China selbst umfangreiche Erfahrungen gesammelt und die bewährten Techniken weiterentwickelt. Das Reich der Mitte ist somit von einem „Nehmerland“ zu einem „Geberland“ in Sachen Welterbeschutz aufgestiegen.
1993 begann China, sich an der internationalen Zusammenarbeit zum Schutz der Weltkulturerbe-Stätte Angkor Wat in Kambodscha zu beteiligen, wo es bei der Restaurierung des Tempels Chau Say Tevoda und des Tempels Ta Keo half. Zudem wirkte China auch im gemeinsamen Vorsitz des Schutzprojekts für den Tempel Preah Vihear in Kambodscha mit. 2017 half China zudem nach einem heftigen Erdbeben bei den Wiederaufbauarbeiten des Basantpur-Tempels im nepalesischen Katmandu. Darüber hinaus spielt die Volksrepublik bis heute eine aktive Rolle beim Schutz des Kulturerbes in Usbekistan und Myanmar.
Letztlich ist auch jede Welterbe-Bewerbung allein schon ein Prozess des kulturellen Austausches. China nutzte seine Bewerbungen erfolgreich, um der Welt seine Kultur vorzustellen und näherzubringen. Die Einzigartigkeit und der allgemeine Wert des chinesischen Welterbes haben auf diese Weise die Aufmerksamkeit von immer mehr Ländern auf sich gezogen. Der Schutz des Welterbes ist sowohl eine internationale Verpflichtung als auch eine historische Verantwortung. Auch in Zukunft möchte China – gemeinsam mit der restlichen Weltgemeinschaft – das Feuer der menschlichen Zivilisation weiter kräftig lodern lassen und unsere Welt zu einem friedlichen Zuhause für alle formen.
*Lü Zhou ist Professor an der Fakultät für Architektur und Direktor des Nationalen Erbe-Zentrums der Tsinghua-Universität.