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Landtourismus in Sichuan: Dieses „hängende Dorf“ hat entwicklungsmäßig alles im Griff

2023-03-24 10:51:00 Source:german.chinatoday.com.cn Author:Ma Li
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Hier geht es mächtig in die Tiefe: Das Dorf Gulu liegt direkt an einem steilen Berghang. (Foto: Li Yifan) 


An diesem Februarmorgen in Sichuan macht sich Zheng Wangchun, Dorfvorsteher von Gulu, auf den Weg, um letzte Vorschläge der Einheimischen zu sammeln, bevor er als Abgeordneter am 14. Nationalen Volkskongress (NVK) in Beijing teilnehmen wird. Für den Hin- und Rückweg von seinem Haus zum Dorfbewohnerkomitee benötigt er geschlagene drei Stunden. Der schmale Weg dorthin windet sich wie ein dünner Schlauch fünf Kilometer lang den Steilhang empor, bis auf eine schwindelerregende Höhe von 1000 Metern. Mit einem Meter Breite bietet der Pfad gerade genug Platz für Menschen und Lasttiere. Es ist ein beschwerlicher Anstieg – und ein gefährlicher. 

Gulu liegt auf einer der Klippen, die über dem Steilpass im Tal des Dadu-Flusses emporragen. Angesichts seiner besonderen Lage nennen die Einheimischen den Ort gerne „hängendes Dorf“ oder manchmal auch „Dorf der Himmelsleiter“, da seine Bewohner wuchernde Lianen als Halt nutzen, um sich über die Steilhänge zu bewegen. 

  

Das 680-Seelen-Dorf zählt zum Kreis Hanyuan und ist das am weitesten vom Stadtzentrum entfernte Dorf der ethnischen Gruppe der Yi. Um den Zugang zu erleichtern, legten die Dorfbewohner 2003 den besagten Weg an der Felswand an, der im Zickzack über die Klippen führt. Es war lange die einzige  Verbindung mit der Außenwelt. 2016 dann investierte die Lokalregierung mehr als 24 Millionen Yuan (rund 3,3 Millionen Euro) in den Bau von zwei 760 Meter langen Seilbahnen. Zwei Jahre später ging die Anlage in Betrieb. Dadurch endete die langjährige Isolation des Dorfes ein für alle Mal. Heute hat sich Gulu dank des ländlichen Tourismus aus der Armut befreit. Der Ort ist zu einem beliebten Spot für Reise-Influencer avanciert. 

  

Staffellauf zur Armutsbekämpfung 

  

Vor zehn Jahren wurde Luo Yunlian, damals Sekretärin der Parteizelle von Gulu, zu einer der Abgeordneten des 12. NVK gewählt. Unter ihrer Leitung nahm man das Seilbahnprojekt in Angriff, wodurch sich die Wegstrecke ins Dorf von drei Stunden auf drei Minuten verkürzte. Das neue Transportmittel beflügelte auch die Entwicklung von Cash Crops, also eigens für den Markt erzeugten Agrarprodukten, sowie den Tourismus. An den Berghängen, an die sich die charakteristischen Yi-Häuser des Ortes schmiegen, sprießen jetzt Sichuan-Pfeffer und Walnussbäume. „Da immer mehr Touristen in unser Dorf kommen, ermutigen und unterstützen wir die Einheimischen, Gaststätten und Unterkünfte anzubieten“, erklärt Luo. Das habe den Dorfbewohnern ein besseres Einkommen beschert. „Die Provinz hat unser Dorf aufgrund seiner bemerkenswerten Erfolge bei der Armutsbekämpfung mittlerweile zum Modelldorf gekürt“, berichtet Luo stolz.  

  

  


Luo Yunlian, Abgeordnete des 12. NVK und ehemalige Sekretärin der Parteizelle von Gulu  

 

Am 8. März 2017 nahm Generalsekretär der KP Chinas Xi Jinping während der 5. Tagung des 12. NVK an den Diskussionen der Delegation Sichuans teil. Luo stellte dem Staatsoberhaupt damals die erfolgreichen Veränderungen in Gulu vor, die man beim Wiederaufbau nach dem Erdbeben von 2013 und bei der Armutsbekämpfung erreicht hatte. Stolz berichtete sie zudem, wie sich der kleine Bergort durch die harmonische Verbindung von ethnischer Kultur und Ökologie einen Weg in den ländlichen Aufschwung gebahnt hatte. 

  

  


Zheng Wangchun, Abgeordneter des 14. NVK, Sekretär der Parteizelle von Gulu und Leiter des Dorfkomitees 

 

Zheng Wangchun ist ebenfalls sowohl Zeuge als auch Förderer dieser Veränderungen. 2012 gab er seinen gut bezahlten Job in Shenzhen auf, um in seinem Heimatdorf mit Hilfe einiger engagierter junger Leute den ländlichen Tourismus zu entwickeln. Dank seines Managementwissens und seines Fachwissens in Sachen Wohlstandvermehrung wählte man ihn 2020 zum Sekretär der Parteizelle und zum Leiter des Dorfkomitees. 

  

  


Brainstorming: Zheng Wangchun und Luo Yunlian sammeln Ideen der Dorfbewohner zur Tourismusentwicklung.  

 

Nachdem er das Amt von Luo Yunlian übernommen hatte, entstanden innerhalb von zwei Jahren mehrere touristische Infrastrukturen, darunter ein Besucherzentrum, Parkplätze sowie öffentliche Plätze für Yi-Kultur sowie ein Aussichtspunkt mit Blick auf den Dadu-Fluss. Um den Touristen ein möglichst professionelles Reiseerlebnis bieten zu können, lud Luo eigens Fachleute aus dem Kreis zur Schulung der Dorfbewohner ein. Hochwertige Dienstleistungen, das weiß er, können dem Ruf des Dorfes nur zuträglich sein. Für dieses Jahr ist geplant, Eltern-Kind-Touren und Erlebnistouren zum Thema immaterielles Kulturerbe neu mit ins Programm aufzunehmen. „Hier in Gulu mit seiner jahrhundertelangen Geschichte und der faszinierenden Yi-Kultur können Touristen nicht nur die eindrucksvolle Canyon-Landschaft bewundern, sondern auch in die traditionelle Yi-Kultur eintauchen und diese entdecken“, sagt Zheng.Und diese wird dank der Neuerungen in die Zukunft getragen, fügt er hinzu. 

  

  


Reich gedeckter Tisch: Das üppige Abendessen der Familie von Shen Shaohua (Foto: Li Yifan) 

  

In den letzten Jahren hat man im Dorf eine gepflasterte Straße mit Laternen angelegt. Die umliegenden Plantagen wurden um Nutzpflanzen wie Walnussbäume, Sichuan-Pfeffersträucher und Heilpflanzen erweitert. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen steigt mit jedem Jahr. „2023 haben wir vor, eine landschaftliche Zone nach dem nationalen Standard der Klasse AAA anzumelden. Wir wollen den ländlichen Tourismus zu einer nachhaltigen Industrie machen, die den Dorfbewohnern ein gutes Auskommen garantiert, sagt der NVK-Abgeordnete. 

  

Altes Dorf im neuen Antlitz 

  

Die 92-jährige Lan Mingxiang zog einst nach ihrer Heirat nach Gulu. Von da an verließ sie ihre neue Heimat Jahrzehnte nicht mehr, war über Jahre nicht mehr im Tal. Sie ist nur eine von vielen, die der lange und beschwerliche Weg in die Schlucht lange abschreckte. Auch Zheng kannte bis zu seinem zwölften Lebensjahr die Außenwelt nur aus Erzählungen. „Man konnte nur die ‚Himmelsleiter‘ an der Wand benutzen. Darunter rauschten die schäumenden Strömungen des Dadu. Das war für Kinder extrem gefährlich“, erinnert er sich. Nach der Inbetriebnahme der Seilbahn im Jahr 2018 kehrte Lan Mingxiang dann erstmals seit ihrer Vermählung in ihr Heimatdorf am Fuße der Berge zurück. „Sie habe nie zu träumen gewagt, dass Gulu einmal einen derartigen Entwicklungssprung erreichen würde, hat sie mir damals erzählt“, erinnert sich der Leiter des Dorfkomitees. 

  

  


Die neue Seilbahn führt über zwei Routen über die Schlucht des Dadu-Flusses. (Foto: Li Yifan) 

  

Die verbesserten Transportmöglichkeiten haben den Tourismus kräftig angekurbelt, neue Einnahmequellen für die Einheimischen erschlossen und neue Ideen für die Entwicklung gebracht. Der 50-jährige Shen Shaohua war einst der erste im Dorf, der eine Herberge eröffnete. Anfangs begnügte er sich damit, einfache Mahlzeiten zu servieren. Doch als die Zahl der Touristen stieg, renovierte er sein altes Haus von Grund auf. In der Hochsaison sind seine acht Gästezimmer stets voll belegt. Sein Sohn und seine Schwiegertochter, die jahrelang fern der Heimat in der Stadt gearbeitet hatten, kehrten ins Dorf zurück, um ihm beim Betrieb des Geschäfts unter die Arme zu greifen. Gemeinsam erwirtschaften sie heute jährlich zwischen 100.000 und 200.000 Yuan, rund 13.500 bis 27.000 Euro also 

  

Die Renovierungsarbeiten im Jahr 2013 hätten ihn etwa 150.000 Yuan (20.000 Euro) gekostet, erzählt Shen. Hinzugekommen seien noch einmal rund 100.000 Yuan an Transportkosten für die Baumaterialien. „Mit der Eröffnung der Frachtseilbahn kostet die Beförderung der gleichen Materialien heute nur noch etwa 20.000 Yuan (2700 Euro).“ 

  

  


Es geht bergauf: Hier werden Ziegeln aus der Transportseilbahn entladen. (Foto: Li Yifan) 

 

Laut Zheng Wangchun sind mit der Entwicklung des ländlichen Tourismus viele Wanderarbeiter in ihr Heimatdorf zurückgekehrt, um selbst ein eigenes Geschäft aufzubauen. „Besonders seit den letzten Jahren, in denen auch Expresslieferungen hierher gelangen und es überall Wi-Fi im Dorf gibt, haben sich neue Chancen eröffnet. Junge Leute haben mit dem Verkauf lokaler Waren per Livestream begonnen, ganz bequem über das Smartphone. Yi-Stickereien, Nüsse, Sichuan-Pfeffer, Speck, Ziegenfleisch, Honig und andere örtliche Erzeugnisse werden in alle Ecken des Landes verschickt, erzählt uns Zheng. 

  

  


Zheng Wangchun und Wanderer während des chinesischen Neujahrsfests 2023 

  

Fortschritt und Tradition in Einklang bringen 

  

Doch bleiben die alten Traditionen bei der Entwicklung des Dorfes vielleicht auf der Strecke? Solche Bedenken werden immer wieder geäußert. Kritiker argumentieren, dass es besser gewesen wäre, wenn die lokale Regierung ein neues Dorf am Fuße des Berges gebaut hätte, anstatt 24 Millionen Yuan in eine Seilbahnanlage zu investieren. Andere meinen, das Geld wäre nützlicher und wertvoller gewesen, hätte man es einfach direkt an die Dorfbewohner ausgezahlt. Zu solchen Äußerungen sagt Zheng: „Die Finanzierung hat letztlich dazu gedient, die alte Yi-Kultur hier im Dorf zu schützen. Gegenwärtig ist Gulu ein goldenes Aushängeschild für den Landtourismus an den Ufern des Dadu in Sichuan. Unser Ort treibt die Tourismusentwicklung der ganzen Region voran.“ 

  

  


Alte Tradition: Gemeinsam schälen die Dorfbewohner die Maiskolben händisch aus ihrer Schale (Foto: Li Yifan) 

  

Xiao Fang ist ein bekannter Experte für Folklore. Er lehrt an der Beijing Normal University. Was die Verbindung von wirtschaftlicher Entwicklung und Traditionserhaltung angeht, rät er dem Dorf, seinen eigenen Weg zu gehen. „Parallel zur Aufwertung der Yi-Kultur sollten neue touristische Aktivitäten wie das Malen nach der Natur, Handwerkskurse und Touren durch den Canyon angeboten werden, damit das alte Dorf seine Faszination und seine Anziehungskraft beibehält, empfiehlt er. 

  

  


Bekommt man nicht überall: Shen Shaohua und seine Frau bereiten ein traditionelles Tofugericht für die Touristen zu. (Foto: Li Yifan)  

  

Auf Grundlage des Schutzes der traditionellen Wohnhäuser wolle man in Gulu in Zukunft die integrierte Entwicklung von Landwirtschaft und Tourismus weiter stärken, ebenso wie die Kollektivwirtschaft des Dorfes, sagt Zheng zum Abschluss. 

 

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