Von William Jones*
In der Großen Halle des Volkes in Beijing: Hier wurde am 5. März 2022 die fünfte Tagung des 13. Nationalen Volkskongresses eröffnet.
Trotz der unruhigen internationalen Lage sind die diesjährigen zwei Tagungen, nämlich die fünfte Tagung des 13. Nationalen Volkskongresses (NVK) und des 13. Landeskomitees der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes (PKKCV), im März reibungslos über die Bühne gegangen. Unter dem Eindruck des anhaltenden Militärkonflikts zwischen Russland und der Ukraine sowie der massiven Sanktionen, die der Westen gegen Russland, einen der wichtigsten Energielieferanten der Welt, verhängt hat, tun sich momentan alle Staaten schwer mit dem Schmieden von Zukunftsplänen.
Dennoch zeigte sich Chinas Premierminister Li Keqiang in seinem Tätigkeitsbericht der Zentralregierung zuversichtlich, dass China seinen stabilen Entwicklungsweg beibehalten wird. In diesem Jahr steht der XX. Parteitag der KP Chinas an, auf dem das nächste Führungsgremium gewählt und eine Blaupause für das nächste Jahrzehnt sowie die nahe Zukunft aufgestellt werden wird.
Im aktuellen Tätigkeitsbericht wurde das Wachstumsziel des Bruttoinlandsprodukts für das laufende Jahr auf etwa 5,5 Prozent festgesetzt, ein moderates Wachstum im Vergleich zum Vorjahresniveau von 8,1 Prozent. Angesichts der stürmischen politischen und wirtschaftlichen Großwetterlage in der Welt, die im Laufe dieses Jahres zu erwarten ist, stellt es aber keineswegs eine schlechte Prognose dar, im Gegenteil.
Die Folgen der gravierenden Sanktionen gegen Russland haben sich bereits auf die internationalen Öl- und Gaspreise ausgewirkt. Und sie machen sich auch im Anstieg der Preise für Agrarprodukte wie Weizen und Sojabohnen bemerkbar. Mit der Förderung seines Entwicklungsmodells eines dualen Kreislaufs, bei dem sich die chinesische Wirtschaft verstärkt auf die Binnennachfrage konzentriert, während sie sich auch weiterhin auf den Außenhandel stützt, sieht sich China viel besser in der Lage, mögliche Preisschwankungen auf den Weltmärkten abzufedern.
Auch in Bezug auf die Erholung der Wirtschaft von den Folgen der Coronapandemie schneidet China besser ab als andere Länder. Angesichts des Omikron-Ausbruchs in Hongkong bündelte man die Ressourcen des ganzen Landes und stellte sie der Sonderverwaltungszone bereit, um ihr bei der Bewältigung der Krise beizustehen, wie es auch schon bei vereinzelten kleineren Ausbrüchen auf dem Festland der Fall gewesen war. Dank der strengen Maßnahmen, die China seit Beginn der Pandemie ergriffen hat, liegt das Land in Bezug auf die ökonomische Erholung und Entwicklung weltweit in Führung. Dies belegen nicht nur die hohen Wachstumszahlen sondern auch das Beschäftigungswachstum in den Städten, wo im vergangenen Jahr zwölf Millionen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden konnten.
Dank seines einzigartigen Regierungssystems war China bisher auch weniger von der Inflation betroffen, die in vielen Ländern derzeit deutlich spürbar ist: Chinas Verbraucherpreisindex stieg im vergangenen Jahr nur um 0,9 Prozent. Die diesjährige Wachstumsrate der Verbraucherpreise soll bei etwa drei Prozent liegen, eine passable Zahl vor dem Hintergrund, dass die Preise gerade weltweit in die Höhe schießen. Zugleich war sich Li Keqiang aber auch darüber im Klaren, dass China keinen leichten Weg vor sich hat. „Die umfassende Analyse und Beurteilung der Lage im In- und Ausland zeigt, dass sich die Risiken und Herausforderungen, mit denen sich die Entwicklung unseres Landes in diesem Jahr konfrontiert sieht, deutlich vermehren, weshalb wir bergauf klimmen und bestehende Hürden nehmen müssen“, so sagte er.
China verfügt trotz der internationalen Widrigkeiten nach wie vor über einen großen Spielraum bei der Erreichung seiner Ziele. Das Wichtigste ist, dass das Land die Ernährungssicherheit erfolgreich gewährleistet, nämlich indem es dafür sorgt, dass die heimische Produktion nicht von den Preisschwankungen der internationalen Märkte in Mitleidenschaft gezogen wird. Zur Verhinderung eines Rückfalls in die Armut wird außerdem die Strategie zum ländlichen Aufschwung energisch fortgesetzt.
Gemeinsam unternimmt das ganze Land Anstrengungen, um in Wissenschaft und Technologie auf dem neuesten Stand zu bleiben – ein wichtiges Element des innovationsorientierten Wirtschaftswachstumsprogramms der Volksrepublik. Darüber hinaus arbeitet man mit Hochdruck daran, sich entschieden gegen die von der US-Regierung verhängten Maßnahmen zur Abschottung Chinas vom US-Markt für Hochtechnologiegüter zu wehren. Li Keqiang kündigte derweil an, China werde sich seinerseits weiter für ausländische Investitionen öffnen. Li versicherte ausländischen Geldgebern gleiche Bedingungen. „Ausländische Investoren sollen dabei unterstützt werden, vermehrt in Bereiche wie die Fertigungsindustrie des mittleren und oberen Leistungsstandes, Forschung und Entwicklung, moderne Dienstleistungen und in die zentralen und westlichen sowie auch die nordöstlichen Gebiete zu investieren“, so Li. „Wir werden die Dienstleistungen zur Förderung ausländischer Investitionen optimieren und dafür sorgen, dass Großprojekte rasch vor Ort realisiert werden“, so der Premier.
Es ist zudem vorgesehen, die Seidenstraßeninitiative weiterhin mit hoher Qualität gemeinsam mit allen Beteiligten umzusetzen. Li Keqiang betonte diesbezüglich: „Wir wollen die Grundlagen für die Zusammenarbeit im Bereich infrastrukturelle Verbindung und Vernetzung festigen und die Zusammenarbeit sicheren Schrittes auf neue Bereiche ausweiten.“ Der Aufbau des neuen westlichen Land-See-Korridors werde vorangetrieben, so Li, und Investitionen in Übersee sowie die Zusammenarbeit mit dem Ausland würden geordnet entfaltet und Risiken im Ausland wirksam verhütet.
Nicht zuletzt plant China, zusätzliche Mittel zur Förderung der Entwicklung von Kleinstbetrieben sowie kleinen und mittelständischen Unternehmen bereitzustellen und ein Paket von Steuer- und Gebührenermäßigungen bzw. -erlässen zu schnüren. Ziel ist es, den Normalbetrieb dieser Marktteilnehmer trotz des unsicheren Umfeldes zu garantieren.
Im Vordergrund sollen außerdem weiterhin alle Themen im Zusammenhang mit der Lebenshaltung der Bevölkerung stehen, einschließlich Sozialhilfe, Krankenversicherung, Bildung und Kinderbetreuung. Aus diesem Grund wird die Zentralregierung zwar auch in Zukunft den Gürtel enger schnallen, aber zugleich eine besonnene und sichere Geldpolitik umsetzen, um den lokalen Regierungen mehr Mittel zur Verfügung zu stellen. Denn es sind hauptsächlich die lokalen Regierungen, die für die Umsetzung der Maßnahmen, die den Unternehmen und dem Lebensunterhalt der Menschen zugutekommen, verantwortlich sind. Neben ausreichenden Finanzmitteln für ein stabiles Wachstum der Realwirtschaft soll auch eine noch strengere Aufsicht praktiziert werden, um die Entwicklung von Finanzblasen zu vermeiden. Nicht zuletzt werden Maßnahmen zum Kampf gegen die Korruption ergriffen.
Auch wenn das chinesische Staatsschiff im kommenden Jahr durch unruhige Gewässer manövrieren dürfte, geht aus dem Tätigkeitsbericht der Regierung doch unmissverständlich hervor, dass China das Ruder fest in der Hand behält und bei jedem noch so starken Wind stabilen Kurs halten wird.
*Der Politikanalyst William Jones lebt in Washington und ist zudem Fellow des Chongyang-Finanzforschungsinstituts der Renmin-Universität.