Das Kunst- und Kulturzentrum Jebum-Gang ist in einem historischen Gebäude untergebracht und macht sich dessen Charme bewusst zunutze. Besucher fühlen sich hier wie in eine andere Zeit versetzt. Über schmale Holztreppen gelangt man zur Spitze des buddhistischen Turms des Tempels, wo Glocken im Wind läuten. Vor langer Zeit hallten diese Glocken des Tempels Jebum-Gang Lhakhang in allen Winkeln der Altstadt von Lhasa. Mit dem Eintritt in die Moderne aber verstummten die Klänge von damals und gerieten langsam in Vergessenheit. Nun erlebt der antike Tempel ein echtes Revival, wird wieder Teil des öffentlichen Lebens, doch mit anderer Funktion. Er kehrt als Begegnungsstätte für Kunst und Kultur ins öffentliche Leben zurück.
Pfeiler mit langer Geschichte: Diese Holzsäule hat mehr als einhundert Jahre auf dem Buckel. Sie ist in einer Halle des Kunst- und Kulturzentrums Jebum-Gang zu sehen. (Foto: Kunst- und Kulturzentrum Jebum-Gang)
Jebum-Gang in der Vergangenheit
Die Altstadt von Lhasa, der Hauptstadt des Autonomen Gebiets Tibet im Südwesten Chinas, ist durchzogen von einem filigranen Geflecht aus kreuz und quer verlaufenden gepflasterten Gassen. Dazwischen findet man – wie zufällig eingestreut – unzählige geschäftige Freiluftmärkte. Folgt man den Informationstafeln, die am Eingang jeder Altstadtgasse angebracht sind, ist es kinderleicht, zu den zahlreichen historischen Gebäuden und alten Tempeln zu finden. Auch der Jebum-Gang Lhakhang ist kaum zu übersehen.
Im Tibetischen bedeutet „Je“ (རྗེ་ rje) „buddhistischer Meister“, als Abkürzung von Je Tsongkhapa (རྗེ་ཙོང་ཁ་པ་ rje tsong kha pa). „Bum“ (འབུམ་ bum) steht für die Zahl „einhunderttausend“, und „Gang“ (སྒང་ sgang) kann im Sinne von „Hochland“ oder „an der Spitze“ verstanden werden. Ein Nachschlagewerk mit historischen Ortsnamen verrät, dass der Jebum-Gang-Tempel einst vom siebten Dalai Lama erbaut worden sein soll. Sein Name soll auf eine Stupa zurückgehen, die einst 100.000 Tonfiguren von Je Tsongkhapa enthielt.
Das Denkmal soll allerdings im 19. Jahrhundert eingestürzt sein, woraufhin man alle Tonfiguren zu einer langen Manimauer (aus Steinen, die mit tibetisch-buddhistischen Gebetstexten beschriftet sind) einfach in der Mitte der geschäftigen Straße platzierte. Seither wurden sie dort verehrt. Später nahm man mit Hilfe des Lebenden Buddha Demu den Bau eines dreistöckigen Tempels am ursprünglichen Ort in Angriff. Dieser wurde der Struktur eines Mandalas nachempfunden – das Ergebnis war der heutige Tempel Jebum-Gang Lhakhang (རྗེ་འབུམ་སྒང་ལྷ་ཁང་ rje bum sgang lha khang). Heute können Besucher hier eine zweistöckige Buddha-Tonstatue bestaunen, umrahmt von den 100.000 Tonfiguren von Je Tsongkhapa.
In den 1970er Jahren funktionierte man das Gebäude zeitweilig zu einem Getreidelager um, weshalb die Einheimischen den Ort heute auch „Tsampa-Lekhung“ (རྩམ་པ་ལས་ཁུངས་ rtsam pa las khung), wörtlich „Tsampa-Büro“ nennen – in Anlehnung an das Wort Tsampa, auf Tibetisch རྩམ་པ་, ein tibetisches Grundnahrungsmittel. Mit dem Anfang der Reform und Öffnung im Jahr 1978 wurde das Gebäude dann in einen Tsampa-Handelsmarkt umgewandelt. Die kulturellen Wurzeln des historischen Gemäuers gerieten zunehmend in Vergessenheit.
Shui Yanfei, der Chefdesigner des Jebum-Gang-Projekts, stellt die Idee zur konservierenden Transformation und Renovierung des alten Tempels vor. (Foto: Kunst- und Kulturzentrum Jebum-Gang)
Aufwendige Renovierungsarbeiten
Ab 2018 investierte das lokale Kultur- und Tourismusbüro beträchtliche Mittel und Arbeitskraft in die umfassende Instandhaltung des historischen Komplexes. Dach und Boden wurden repariert. Mit Hilfe traditioneller tibetischer Handwerkstechniken – nämlich der Stopfung mit Aga-Lehm (ཨར་ཀ་ ar ka), einem einzigartigen Baumaterial des Hochlandes aus Lehm und Schottersteinen – wurde die Dachanlage wirksam abgedichtet.
Stark beschädigte Säulen im Tempel wurden ersetzt und die historischen Wandmalereien erhielten eine professionelle Reinigung. Dann begann die lokale Regierung mit der renommierten tibetischen Kultur- und Kunstmarke Tihu zusammenzuarbeiten und bat das Expertenteam, ein Konzept zu erarbeiten, um das alte Gebäude durch spezielle Konservierungstechniken zu schützen und es so als öffentliches Kultur- und Kunstzentrum nutzbar zu machen.
Die behutsame Umgestaltung des historischen Komplexes war ein architektonisches Novum und stellte alle Beteiligten vor große Herausforderungen. Insbesondere die Bodenrenovierung sollte sich als aufwendig erweisen. Doch sie war dringend nötig, nicht nur um den ursprünglichen Flair und Glanz des Tempels zu erhalten, sondern auch um die Voraussetzung für die moderne Elektrik des geplanten Kunstzentrums zu schaffen. Nach vielen Diskussionsrunden erarbeitete das Team schließlich eine gangbare Lösung – den Einbau von Holzkielen und Fußböden im historischen Stil.
In einem ersten Schritt wurden die Kiele auf den ursprünglichen Boden gelegt, wobei man Platz für die erforderlichen Kabel und Drähte ließ. Um den Bodenbelag möglichst eben zu gestalten, wurde die Länge jedes Kiels genau angepasst. So gelang es auch, die Elektrik passgenau abzudecken.
Doch die fachmännische Sanierung der Innenhalle war nicht die einzige Hürde. Der Jebum-Gang Lhakhang liegt nämlich in einer belebten Straße und ist von vielen Wohnhäusern und Geschäften umgeben. Um den alten Tempel zu einem öffentlichen Kulturzentrum umzurüsten, musste auch ein Weg gefunden werden, um ein modernes Überwachungssystem, Wasserversorgungsleitungen und Feuerschutzvorrichtungen zu installieren, und zwar nicht nur in der Tempelanlage selbst. Also setzte sich das Team mit den Anwohnern und Geschäftsleuten in der Umgebung zusammen, ließ sich einen Einblick in deren Lebensbedingungen geben und informierte sie über die Modernisierungspläne für das alte Gebäude. In enger Abstimmung mit den Nachbarn führte das Team schließlich auch einige Renovierungsarbeiten außerhalb des Tempels durch und verbesserte so den Brandschutz sowie die zentralen Wasserversorgungs- und Netzwerksteuerungssysteme. So gelang es, das alte Gebäude mit der grundlegenden Infrastruktur auszustatten, um die ein öffentlich zugänglicher Kulturort nicht umhin kommt.
Auch von außen ein Hingucker: Die Mission des neuen Kunst- und Kulturzentrums ist es, das kulturhistorische Erbe von Lhasa zu neuem Leben zu erwecken. Im Bild ist das schmuckvoll verzierte Südtor der Einrichtung zu sehen. (Foto: Kunst- und Kulturzentrum Jebum-Gang)
Neue Gestalt, historischer Kern
Am 25. Juli 2021 war es dann soweit: Tibets erstes Kultur- und Kunstzentrum in einem historischen Gebäude, das aus einem neuartigen Restaurierungs- und Schutzkonzept hervorgegangen ist, öffnete seine Pforten für die Öffentlichkeit. Heute begrüßt der einstige Tempel seine Besucher im neuen Gewand als Kunst- und Kulturzentrum Jebum-Gang.
„Eine wachsende Altstadt“, die erste Ausstellung der Kunsthalle, ist heute einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Die Ausstellung fußt auf Hinweisen aus alten Tempelwandgemälden aus Zeiten der Qing-Dynastie (1644-1911) und nutzt außerdem die Informationen zahlreicher Dokumente und Materialien von Experten und Studierenden. Mit ihrer Hilfe skizzierte das Kuratorenteam einen historischen Abriss der antiken Altstadt und öffnet damit ein spannendes Fenster zur traditionellen tibetischen Kultur.
In der ursprünglichen Haupthalle des Tempels installierten die Kuratoren einen Lichtstrahl als Hommage an die Erschaffer der klassischen Architektur und der traditionellen Kultur Tibets. Ergänzt wird das Ganze durch zwei Multimedia-Installationen. Sie zeigen einige klassische tibetische Musikclips, die in Zusammenarbeit mit der Kunstabteilung der Universität Tibet erstellt wurden. Über sie können die Besucher tief eintauchen in den atmosphärischen Charme der alten tibetischen Architektur.
Die Ausstellung dauert noch bis Ende September dieses Jahres an. Danach wird die äußere Galerie als Dauerausstellung erhalten bleiben, um dem Publikum auch über die Veranstaltung hinaus das historische Stadtbild von Lhasa und den traditionellen Charakter der Stadt näherzubringen. In Zukunft möchte das Kunst- und Kulturzentrum mit verschiedenen Organisationen bei der Umsetzung weiterer Kultur- und Bildungsveranstaltungen zusammenarbeiten, die die traditionelle tibetische Kultur mit zeitgenössischer Sprache und modernen Präsentationsformen verbinden.
*Wang Yuanyuan ist Journalistin der Webseite tibet.cn.