Als Staatspräsident Xi Jinping Ende 2012 nach Luotuowan im Kreis Fuping in Hebei reiste, um sich ein Bild vom örtlichen Entwicklungsstand zu machen, war der Ort noch ein Armutsdorf. Ausgangspunkt der Reise war damals der Startschuss für die Verstärkung des landesweiten Kampfes gegen die Armut.
2013 hatte sich die chinesische Regierung das Ziel gesetzt, in den Folgejahren jährlich mindestens zehn Millionen Menschen aus der Armut zu befreien. Bis 2020 wurden auf diese Weise landesweit fast 99 Millionen Menschen, 832 Kreise und 182.000 Dörfer aus der Armut geholt. In beachtlichem Tempo gelang es China so, die Armutsminderungsziele der UN-Agenda 2030 zehn Jahre früher zu erfüllen als geplant. Damit hat die Volksrepublik ein echtes Wunder in der Geschichte der Armutsüberwindung geschaffen.
Doch mit der Erfüllung der gesteckten Ziele ist der Kampf gegen die Armut noch längst nicht abgeschlossen. Im Folgenden geht es darum, die erreichten Erfolge zu festigen und die Anstrengungen neu auszurichten.
Die Anstrengungen gehen weiter
Luotuowan zählt insgesamt 295 Haushalte, die über neun Weiler verstreut liegen. Auf den kargen und trockenen Böden fuhren die örtlichen Bauern lange nur mickrige Erträge ein, mit denen sie sich kaum über Wasser halten konnten. Sich als Wanderarbeiter in der Ferne zu verdingen, war einst der einzige Ausweg, um über die Runden zu kommen. So erging es auch Gu Baoqing. Um den Lebensunterhalt für Ihre siebenköpfige Familie zu verdienen, musste ihr Sohn schon mit 18 Jahren im fernen Beijing arbeiten, und zwar mit einem monatlichen Gehalt von 200 Yuan, umgerechnet gerade einmal 29 Euro. 2012 ging es vielen im Dorf wie Gu und ihrer Familie.
Erste Veränderungen setzten schließlich Anfang 2013 ein, als eine gemeinsame Arbeitsgruppe für Armutsüberwindung auf Provinzebene ins Leben gerufen wurde. Ihr Ziel war es, dem kleinen Dorf zielgerichtete Hilfeleistungen und Unterstützungsmaßnahmen zu gewähren. Sie sollten sich auf alle Bereiche und jeden Winkel des Ortes erstrecken. Im Rahmen des Projekts zur Wohnraumverbesserung beispielsweise konnte sich Gu eine neue Wohnung zu erschwinglichem Preis leisten, ausgestattet mit moderner Heizung, Leitungswasser, Spültoilette und Küche. Dies sei vor allem den staatlichen Subventionen zu verdanken gewesen, sagt Gu heute. Zur Ankurblung der örtlichen Wirtschaft wurde mit Hilfe der Arbeitsgruppe außerdem eine Tourismusfirma gegründet. Sie rüstete viele traditionelle Wohnhäuser zu kleinen Gasthäusern um. So auch im Falle des Heims von Familie Gu. So erhält Gu Baoqing heute nicht nur Miete, sondern hat auch eine Anstellung bei der Tourismusfirma als Reinigungskraft gefunden, mit einem festen Monatseinkommen von mehr als 2000 Yuan (rund 291 Euro). Die verbesserte finanzielle Lage gibt der ganzen Familie Halt und neue Hoffnung.
Abendidylle: Im Hof von Tang Zongxiu in Luotuowan (Foto: Li Yuliang)
Vor zehn Jahren war Luotuowan noch eines der Armutsdörfer des Landes. 70 Prozent der Menschen hier lebten unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Durch die zielgerichteten Maßnahmen ist das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen zwischen 2012 und 2021 von 950 Yuan (139 Euro) auf knapp 18.000 Yuan (2628 Euro) geklettert.
Aus Sicht von Tan Weiping, Vizedirektor des Zentrums für Internationale Armutsüberwindung, der sich seit Jahren mit dem Forschungsfeld der internationalen Armutsminderung befasst, spiegeln die beachtlichen Veränderungen in Luotuowan exemplarisch Chinas große Bemühungen der letzten Jahre. China habe einen Weg zur Armutsminderung mit eigener Prägung eingeschlagen, so der Fachmann. Die Erfolge des Landes schlügen sich in drei Aspekten nieder, nämlich zum einen in der signifikanten Verbesserung des Lebensstandards der Betroffenen, zum anderen in einer deutlichen Stärkung der Entwicklungsfähigkeiten der Armutsgebiete und nicht zuletzt in der rechtzeitigen Bekanntgabe von Nachfolgemaßnahmen zur Verhinderung eines Rückfalls in die Armut.
Wie Landbewohner wahrhaft vom Aufschwung profitieren
Experten sehen es als eine weichenstellende Entscheidung der chinesischen Regierung, die Errungenschaften bei der Armutsbekämpfung zu konsolidieren und in einem nächsten Schritt den Aufschwung der ländlichen Gebiete zu fördern. Dieser Strategie zum ländlichen Aufschwung kommt eine zentrale Rolle bei Chinas langfristiger Armutsminderung zu. Landesweit wurden hierfür vielerorts auf Provinz-, Stadt- oder Kreisebene vielfältige Programme und Pläne auf den Weg gebracht. Und dies zahlt sich schon heute aus.
Sehen kann man das unter anderem in folgenden Bereichen:
Zum einen erlebt China eine schnelle Entwicklung der Verarbeitungs- und Logistikindustrie für Agrarerzeugnisse. Insgesamt wurden landesweit 156.000 Primärverarbeitungsanlagen und mehr als 50.000 Kühl- und Frischhalteeinrichtungen in Anbaugebieten angelegt. Der Anteil der verarbeiteten Agrarprodukte an der Gesamtproduktion liegt heute bei 70,6 Prozent, und der Umsatz der zusammenhängenden Unternehmen in diesem Segment beträgt fast 25 Billionen Yuan (3,7 Billionen Euro).
Zum anderen floriert der ländliche Tourismus. Es wurden zahlreiche hochwertige landwirtschaftliche Freizeitattraktionen eingerichtet, genauso wie mehr als 1000 ausgewählte Reiserouten. Heute buhlen mehr als 300.000 Freizeitangebote im ländlichen Umfeld um Besucher und erwirtschaften einen Jahresumsatz von 700 Milliarden Yuan (102 Mrd. Euro).
Nicht zuletzt nehmen auch neue Geschäftsformen und Modelle auf dem Land einen Aufschwung. Der ländliche E-Commerce beispielsweise wird energisch gefördert, was immer mehr Marktteilnehmer auf den Plan ruft. Mittlerweile tummeln sich mehr als 30.000 landwirtschaftsbezogene E-Commerce-Anbieter in diesem Segment. Welch lukrative Profite locken, belegen zwei Kennziffern aus dem Bereich der Online-Einzelhandelsumsätze: im ländlichen Raum wurden hier zuletzt mehr als zwei Billionen Yuan (290 Milliarden Euro) erwirtschaftet, mehr als 420 Milliarden Yuan davon (61 Milliarden Euro) über landwirtschaftliche Erzeugnisse.
Die integrierte Entwicklung der ländlichen Industrien erlebt ebenfalls einen rasanten Aufschwung. In den letzten Jahren konnte eine ganze Reihe von Clustern und Hochburgen für ländliche Industrieentwicklung herausgebildet werden, jeweils mit eigenen Wettbewerbsstärken, führenden Industrien und spezifischen Qualitätsvorteilen. Dazu zählen zum Beispiel 140 Industriecluster mit ausgezeichneten Spezialindustrien, 250 Industrieparks nationaler Ebene für moderne Landwirtschaft, über 1300 Gemeinden mit leistungsstarker Landwirtschaft sowie über 3600 Demonstrationsdörfer und -städte.
Doch das ist noch nicht alles. Auch Innovationen und Existenzgründungen auf dem Land sind auf dem Vormarsch. Mehr als 2200 ländliche Innovations- und Existenzgründungsparks sowie Inkubations- und Ausbildungsbasen rief man in den vergangenen Jahren ins Leben. Sie haben schon rund 11,2 Millionen Rückkehrern beim Existenzaufbau in der Heimat gezielt unter die Arme gegriffen.
2021 belief sich das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen von Chinas Landbewohnern auf 18.931 Yuan (2764 Euro). Es lag damit mehr als doppelt so hoch wie noch 2012. Deng Xiaogang, stellvertretender Minister für Landwirtschaft und ländliche Gebiete, sagt, man betrachte die Beschäftigungsförderung und Einkommenserhöhung auf dem Land nach wie vor als grundlegende Richtschnur für die Entwicklung der ländlichen Industrien. Ziel sei es, dass die Einheimischen wahrhaft in den Genuss des ländlichen Aufschwungs kämen.
Malerisch und modern: Das Dorf Luotuowan in der Provinz Hebei hat den Sprung aus der Armut geschafft. (Foto: Li Yuliang)
Erfahrungen mit globalem Nutzwert
Weltweit steht die Menschheit noch immer vor schwierigen Herausforderungen bei der Armutsüberwindung. Das Einkommensgefälle hat sich in etlichen Ländern weiter zugespitzt. Chinas bemerkenswerte Erfahrungen im Kampf gegen die Armut und beim ländlichen Aufschwung werden vor diesem Hintergrund immer wertvoller und rücken ins Augenmerk der Weltöffentlichkeit. Sie wecken vor allem das Interesse der Entwicklungsländer.
Vor allem drei chinesische Ansätze seien erwähnenswert, erklärt Experte Tan. Zum einen sei Chinas politisches Versprechen, die Armut konsequent zu beseitigen und gemeinsamen Wohlstand zu bringen. China habe der Armutsüberwindung einen hohen Stellenwert bei der Regierungsführung eingeräumt, wovon andere Länder lernen könnten, so der Fachmann. Zum anderen sei die tatkräftige Förderung einer inklusiven sozioökonomischen Entwicklung zu nennen, wobei die Entwicklung als Königsweg zur Lösung bestehender Ungleichheiten betrachtet werde. Drittens halte China an der präzisen Unterstützung Bedürftiger fest. So stelle man sicher, dass die geleisteten Anstrengungen auch wirklich greifen und nicht einfach verpuffen.
Einem vom Finanzministerium, dem Forschungszentrum für Entwicklung des Staatrates und der Weltbank am 31. März gemeinsam veröffentlichen Bericht zufolge ist es China in den letzten vier Jahrzehnten gelungen, knapp 800 Millionen Menschen aus der Armut zu befreien, und das gemessen am Weltbank-Standard für absolute Armut. Ihm zufolge gilt als arm, wer pro Tag weniger als 1,9 US-Dollar zum Leben hat. China hat damit im genannten Zeitraum 75 Prozent zur Minderung der weltweiten Armut beigetragen.
Nasser Bouchiba, Präsident der Afro-China Cooperation Association for Development in Marokko, hat China mehrmals besucht und den Prozess der Armutsminderung so direkt mitverfolgt. In seinen Augen gestalten sich Chinas Bemühungen vielschichtig und umfassend. Er lobt insbesondere, dass alle Bereiche wie Existenzabsicherung und Krankenversicherung, Bildung, Wohnraum und Existenzgründung in die staatliche Unterstützung mit einflössen und man den Betroffenen auch finanziell unter die Arme greife. „Jedes Kettenglied wird von praktikablen Systemen flankiert, für das speziell ernannte Verantwortungsträger zuständig sind“, sagt er. Das reiche von Untersuchungen und Erhebungen vor Ort über die anschließende Ausarbeitung zielgerichteter Maßnahmen bis hin zu deren Umsetzung. Dank seiner zielgenauen politischen Maßnahmen gelinge es China, die Armutsrückfallquote nachhaltig zu verringern. „Chinas Erfolge im Kampf gegen die Armut liefern wertvolle Erfahrungen, von denen die Entwicklungsländer in Afrika lernen können“, so sein Fazit.
In den Augen von Enrique Posada Cano, Direktor des Asien-Pazifik-Observatoriums der Universität Jorge Tadeo Lozano und erfahrener Berater des Konfuzius-Instituts, sind Chinas enorme Errungenschaften auf seine systembedingte Überlegenheit zurückzuführen. Das Folgeprogramm zum ländlichen Aufschwung im Anschluss an die Armutsüberwindung trage zur Kontinuität und Planbarkeit bei, was die Erreichung des gemeinsamen Wohlstands absichere. „Es ist beispielhaft, dass in China unter Federführung der Regierung stets nachhaltige Entwicklungsperspektiven festgelegt werden“, sagt er.
Auch internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen verfolgen Chinas Erfahrungen und Erfolge mit großem Interesse. Amina J. Mohammed, stellvertretende Generalsekretärin der UNO, lobte Chinas Engagement bei der Armutsbekämpfung an verschiedener Stelle. Sie sagt: „China hat einen positiven Beitrag zu Erreichung der Armutsminderungsziele der Agenda 2030 geleistet, indem es seine Erfahrungen und Ressourcen mit den Entwicklungsländern teilt.“