Von Ma Li
„Es war am 19. Juli 1989, als Xi Jinping unser Dorf erstmals besuchte“, erzählt Wang Guangchao. Bis heute kann sich der 71-Jährige noch gut an jenen heißen Julitag erinnern, an dem Xi, damals noch Sekretär des Parteikomitees der Stadt Ningde in der Provinz Fujian, sich in der Sommerhitze auf den Weg in das abgeschiedene Dorf Xiadang machte, um sich dort persönlich vor Ort ein Bild zu machen. Da es damals noch keine Anfahrtsstraße gab, musste Xi eine weite Strecke zu Fuß zurücklegen. „Als er den Hügel vor unserem Dorf herabstieg, sahen wir, wie ihm die Schweißperlen auf der Stirn standen. Wir Dorfbewohner waren ziemlich überrascht über den prominenten Besuch und kamen Xi entgegen, um ihm zur Erfrischung eine Tasse Tee zu reichen.“
Diese Tasse Tee wiederum ist dem Staatspräsidenten bis heute im Gedächtnis geblieben. Noch immer verbände er den erfrischenden Geschmack dieser Tasse Tees mit dem kleinen Dorf, wie Chinas Staatsoberhaupt später erklärte.
Xiadang liegt im Nordwesten des Kreises Shouning, der von der rund 43 Kilometer entfernten Kreisstadt Ningde verwaltet wird. Früher war das Dorf eine revolutionäre Basis. Heute leben hier rund 1340 Menschen, die sich über mehr als 300 Haushalte verteilen. Vor dem Jahr 2014 betrug das jährliche Pro-Kopf-Einkommen der Bewohner lediglich 4200 Yuan, das entspricht gerade einmal 550 Euro. In den Steuerkassen des Dorfkollektives herrschte gähnende Leere.
Doch in nur wenigen Jahren hat sich hier eine bemerkenswerte Wende vollzogen. Nicht zuletzt, weil sich die Menschen vor Ort Xi Jinpings Ratschläge zu Herzen genommen haben. „Ob Xiadang eine gute Entwicklung gelingt, hängt davon ab, ob praktische Arbeit geleistet wird, statt nur hohle Phrasen zu dreschen“, sagte Xi bei seinem Besuch Ende der achtziger Jahre. Xiadang nutzte seither seine natürlichen Standortvorteile und entwickelte mit großem Engagement die örtliche Teeindustrie. Damit wurde ein neuer Weg zur Armutsüberwindung eingeschlagen.
Florierendes Tourismusgeschäft: Viele Händler in Xiadang bieten heute lokale Spezialitäten an.
„Xiadang habe ich nie vergessen“
Während seiner Amtszeit in Fujian reiste Xi Jinping insgesamt dreimal nach Xiadang. „Jedes Mal sprach er den örtlichen Kadern sowie den Dorfbewohnern Mut und Hilfe zu“, erinnert sich Liu Minghua, ehemals stellvertretender Sekretär des Parteikomitees der Gemeinde Xiadang. Auch ihm sind die Besuche des heutigen Staatsoberhaupts in frischer Erinnerung geblieben.
Schon bei seiner ersten Stippvisite 1989 suchte Xi das direkte Gespräch mit denjenigen Einheimischen, die unter besonders schwierigen Umständen lebten, und sprach ihnen Mut zu. Damit begann eine Geschichte im Sinne des Sprichwortes „Steter Tropfen höhlt den Stein“.
Am 26. Juli 1989, nur sieben Tage nach seinem ersten Besuch, reiste Xi Jinping erneut nach Xiadang. Der Grund: Damals war der Ort gerade von einer Überschwemmung ausgelöst durch starke Regenfälle heimgesucht worden. Trotz des noch immer anhaltenden Regens legte Xi die drei Kilometer Fußmarsch ins Dorf erneut persönlich zurück, um sich ein eigenes Bild der Lage zu machen und die Ausarbeitung eines Wiederaufbauplans anzuleiten. Man dürfe jetzt keinesfalls aufgeben, erklärte Xi damals.
Sieben Jahre später, am 7. August 1996, kehrte Xi schließlich in seiner Rolle als stellvertretender Sekretär des Parteikomitees der Provinz Fujian nach Xiadang zurück. Begleitet wurde er damals von Verantwortlichen der Verkehrs- und Finanzabteilung sowie der Abteilungen für zivile Angelegenheiten und Armutsüberwindung der Provinz. „Gelingt es uns nicht, das Armutsproblem zu lösen, wäre es mir peinlich, Ihnen als meinen Landsleuten beim nächsten Mal gegenüberzutreten“, sagte Xi damals. Es waren kraftvolle Worte, die die tiefe Verbundenheit des Politikers mit der einfachen Bevölkerung spiegelten. Xi unterstrich damit auch sein großes Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Dorfbewohnern.
„Auch heute, 20 Jahre später, zeigt Xi selbst in seiner Funktion als Partei- und Regierungschef große persönliche Verantwortung für unser Dorf“, sagt Liu Minghua. „Bei verschiedenen Anlässen hat er wiederholt an die schwierige Vergangenheit in Xiadang und die unvergesslichen Erfahrungen, die er hier gemacht hat, erinnert“, so Liu.
„Xiadang ist ein Ort, den ich nie vergessen werde“, erklärte Xi bei unterschiedlichen Anlässen. Es handelt sich um eine tiefe Verbindung, die auf Gegenseitigkeit beruht. Denn auch die Dorfbewohner erinnern sich noch gut an die Arbeit des aufstrebenden Nachwuchskaders Xi, der sie damals stets unterstützte, große Fürsorge zeigte und die Menschen ermutigte, sich für ein besseres Leben ins Zeug zu legen.
Auf neuestem Stand: Heute wird in Xiadang auch moderne Multimediatechnik genutzt,
um Besuchern die heimischen Produkte vorzustellen.
Ein neues Modell zur Armutsüberwindung
Seit Jahren formen der Anbau, die Ernte und der Verkauf von Tee die wichtigste Einnahmequelle Xiadangs. Aber aufgrund eines dezentralen Geschäftsmodells auf Basis einzelner Haushalte war es für den Ort lange schwierig, eigene Marken zu entwickeln. Als Folge blieb das Einkommen der Dorfbewohner mager und die Teeindustrie dümpelte vor sich hin. Ein Zustand, der Wang Mingzu, Sekretär der Parteizelle des Dorfes, Kopfschmerzen bereitete.
Doch 2014 gewann die Entwicklung der örtlichen Teeindustrie endlich an Fahrt. Dank der Förderung der Organisationsabteilung des Parteikomitees der Provinz Fujian, der starken Unterstützung der Fujian Broadcast & TV Network Group sowie der Hilfe der lokalen Regierungen auf Stadt- und Kreisebene wurde in Xiadang Chinas erster „Teegarten zur Armutsüberwindung“ errichtet. Die verstreuten Einzelplantagen wurden integriert und so eine Großplantage mit einer Fläche von 40 Hektar geschaffen. Zudem wurden einheimische Unternehmer ermutigt, Pachtverträge mit dieser neuen Plantage zu unterzeichnen. Die jährliche Pacht wurde mit 20.000 Yuan (2630 Euro) pro Mu (1 Mu entspricht 1/15 Hektar) veranschlagt und die Pachtfrist auf fünf Jahre festgesetzt. Mithilfe digitaler Technologie wurde außerdem ein transparentes Rückverfolgungssystem etabliert, dass es heute ermöglicht, den Produktionsprozess aller lokalen Teeprodukte vom Anbau über die Ernte bis zum Verkauf genau nachzuvollziehen. Ähnliche Modelle werden in Xiadang heute auch für den Anbau von Weintrauben, Orangen und anderen landwirtschaftlichen Produkten praktiziert. Zuvor war ein solches Entwicklungsmodell für Wang Zuming und die Dorfbewohner unvorstellbar gewesen.
Im August 2014 gründete das Dorfbewohnerkomitee die Mengzhixiang Agricultural Comprehensive Development Co., Ltd und die Mengzhiyuan Tourism Development Co., Ltd. Die Teefirma Mengzhixiang praktiziert seither ein Aktiensystem, nach dem das Dorfkollektiv 20 Prozent der Anteile, die geschäftsführenden Personen und Verwalter 60 Prozent und die Dorfbewohner die übrigen 20 Prozent halten. Um die Produkte aus dem Dorf Xiadang zu schützen, beantragte die Firma schon im September 2014 die Registrierung einer eigenen Handelsmarke. Im Oktober 2015 wurde diese Marke schließlich offiziell ins Handelsregister des Markenamtes der Staatlichen Verwaltung für Industrie und Handel eingetragen.
Um die nachhaltige Industrieentwicklung im Dorf sicherzustellen, führte man ein System zur strikten Trennung von Produktion und Verkauf ein. Eine professionelle Genossenschaft für den Teeanbau namens Rongdang wurde gegründet, in die auch die verarmten Haushalte als Aktionäre aufgenommen wurden. Darüber hinaus lud man professionelle Marketing- und Verkaufsexperten aus Quanzhou (Provinz Fujian) und Shenzhen (Guangdong) ein, die sich um den Markenbetrieb und den Produktverkauf kümmerten. Die Parteizelle des Dorfs überwacht den Betrieb der Genossenschaft akribisch und veranschlagt dafür Verwaltungsgebühren in Höhe von sechs Yuan pro Kilo (umgerechnet etwa 80 Cent) für die Kassen des Dorfkollektivs.
Vor malerischer Kulisse: Das Dorf Xiadang verfügt über üppige natürliche Ressourcen.
Durch die Errichtung der Großplantage konnten die durchschnittlichen Einnahmen für Teeblätter von 4,8 Yuan (63 Cent) auf rund 20 Yuan (2,63 Euro) pro Kilogramm gesteigert werden. Das Einkommen der Bauern kletterte von 2400 Yuan (315 Euro) auf 6000 Yuan (790 Euro) pro Mu. Das Dorfkollektiv nahm durch die Verarbeitung und Verpackung von Tee sowie die Erhebung von Verwaltungsgebühren mehr als 80.000 Yuan ein, umgerechnet sind das über 10.000 Euro.
Das Plantagenprojekt gilt heute als innovatives Vorzeigemodell zur gezielten Armutsüberwindung. Durch die erfolgreiche Verknüpfung des Internets und des Internets der Dinge mit der traditionellen Landwirtschaft und der Genossenschaft ist es den Verantwortlichen vor Ort gelungen, die natürlichen Ressourcen der Bergregion in profitable Produkte zu verwandeln.
„Bei seinen Besuchen in Xiadang hat Xi Jinping die Menschen mehrfach ermuntert, ihre Konzepte zu erneuern, neue Ideen zu entwickeln und diese aktiv in die Tat umzusetzen“, sagt Wang Mingzu. Ein Aufruf, dem die Dorfbewohner durch den Teegarten erfolgreich nachgekommen sind. Seit 2017 hat Xiadang landwirtschaftliche Ökoerzeugnisse im Wert von mehr als sechs Millionen Yuan, umgerechnet rund 790.000 Euro, verkauft. Die Gesamteinnahmen des Dorfkollektives beliefen sich auf 233.000 Yuan (31.000 Euro), eine Zunahme um mehr als 200.000 Yuan. Das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen der Dorfbewohner stieg unterdessen auf 12.550 Yuan (1650 Euro). Somit ist es insgesamt 31 zuvor als arm registrierten Haushalten gelungen, sich erfolgreich aus der Armut zu befreien.
Die Einheimischen Liu Minghua (links) und Wang Guangchao (rechts) berichten einem Touristen von den großen Veränderungen
im Dorf in den vergangenen Jahren.