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50 Jahre chinesisch-deutsche Beziehungen: Weit mehr als eine Wirtschafts- und Handelskooperation

2022-09-22 13:07:00 Source:german.chinatoday.com.cn Author:Meng Hong*
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Die Wirtschafts- und Handelskooperation zwischen China und Deutschland gilt seit jeher als eine wichtige Säule der bilateralen Beziehungen. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich deutsche Eisenbahn- und Maschinenbautechnik einen Namen in China gemacht. Nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen China und der Bundesrepublik im Jahr 1972 begann sich insbesondere die Wirtschafts- und Handelskooperation rapid zu erweitern. 

  

China ist inzwischen seit sechs Jahren in Folge Deutschlands größter Handelspartner und zudem das weltweit größte Importland von deutschen Gütern. Deutschland auf der anderen Seite ist im Laufe der Jahre eines der EU-Länder mit den größten Direktinvestitionen in China und der wichtigste europäische Handelspartner Chinas geworden. Im Jahr 1972 betrug das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern noch 274 Millionen US-Dollar. 2021 ist es bereits auf 245,3 Milliarden Euro angestiegen. Das entspricht einer fast 900-fachen Steigerung innerhalb von 50 Jahren. Chinas Exporte nach Deutschland lagen 2021 bei 141,7 Milliarden Euro, während sich die Importe auf 103,6 Milliarden Euro beliefen, ein Plus von jeweils 8,1 Prozent bzw. 20,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Gleichzeitig rangiert China bei den Gesamtinvestitionen in Deutschland nach den USA und der Schweiz an dritter Stelle, zwar mit leichtem Rückgang im gleichen Zeitraum, dennoch wurden 2021 immerhin 149 neue Projekte abgeschlossen. 

  

Dass sich die wirtschaftliche und handelspolitische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern derart rasch entwickeln kann, geht einerseits auf die Modernisierungs-, Industrialisierungs- und Urbanisierungsprozesse Chinas und deren Anforderungen an moderne Technologie und Güter zurück. Andererseits ist dies auch einer Reihe technischer und finanzieller Hilfen der Bundesrepublik im Rahmen ihrer Entwicklungshilfe bzw. -zusammenarbeit gegenüber der Volksrepublik China zu verdanken, nachdem das Land 1979 als „Entwicklungsland“ eingestuft wurde. 

 

Online-Veranstaltung: Am 15. Juni 2022 fand das Deutsch-Chinesische Forum zu Städte- und Provinzpartnerschaften statt. 


1993 löste in China die sogenannte sozialistische Marktwirtschaft die Planwirtschaft ab. Nach dem WTO-Beitritt Chinas im Jahr 2001 wurden die Zölle deutlich gesenkt, was der bilateralen Handelskooperation noch einmal starken Schub verliehen hat. Beide Regierungen konnten sich inzwischen zweimal darauf einigen, das bilaterale Handelsvolumen zu verdoppeln. Zudem wurde eine Reihe multilateraler Förderungsmechanismen für den Handel eingerichtet, darunter etwa der Chinesisch-Deutsche Gemischte Wirtschaftsausschuss, das Chinesisch-Deutsche Forum für wirtschaftliche und technologische Zusammenarbeit, die Chinesisch-Deutschen Wirtschaftspolitischen Konsultationen und die Chinesisch-Deutschen Konsultationen für die KMU-Politik sowie der bereits 1993 gegründete Asien-Pazifik-Ausschuss der deutschen Wirtschaft. 

  

Hinzu kommen die neu errichteten diversen Koordinations- und Förderungseinrichtungen in chinesischen Metropolen wie in Beijing, Shanghai und Guangzhou, insbesondere die Zweigstellen der Deutschen Industrie- und Handelskammer und das German Centre. Im Gegenzug gründeten 2014 die in Deutschland tätigen chinesischen Unternehmen die Chinesische Handelskammer in Deutschland. 2022 wurde diese auf die Liste der Interessenverbände vom Deutschen Bundestag aufgenommen. Dadurch bekommt sie nun die Möglichkeit, auf der deutschen Bundesebene aktiv bei der Förderung der chinesisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen mitzuwirken.  

  

Nach dem Ausbruch der europäischen Staatsschuldenkrise im Jahr 2008 kamen einige neue Merkmale in der bilateralen Wirtschafts- und Handelskooperation zwischen China und Deutschland hinzu.  

  

Erstens hat Deutschland zwar im Jahr 2009 seine Entwicklungszusammenarbeit mit China im traditionellen Sinne eingestellt. Die beiden Regierungen haben aber beschlossen, im Rahmen der neuen „Strategischen Entwicklungspartnerschaft“ die Kooperation in den Bereichen Klima, Umweltschutz, Energieversorgung sowie Wirtschafts- und Rechtsreformen auszubauen. Zum damaligen Zeitpunkt betrug das Pro-Kopf-BIP Chinas noch weniger als 5500 US-Dollar, was etwa einem Sechstel von Deutschland entsprach.  

  

Zweitens hat sich seit 2010 der Schwerpunkt der bilateralen Wirtschaftszusammenarbeit rund um die neuen wirtschaftspolitischen Ziele des 12. chinesischen Fünfjahresplans auf strategisch aufstrebende Industriezweige verlagert, wie zum Beispiel auf neue Energiequellen, neue Materialien und Informationsnetze, Biotechnologie, Medizintechnologie, Energieeinsparung und Umweltschutz sowie Luft- und Raumfahrttechnologie, Schifffahrt und Elektrofahrzeuge. Parallel dazu haben beide Seiten damit begonnen, die Zusammenarbeit in den Bereichen Dienstleistungen, Finanzen und Versicherungen auszubauen. 

  

Drittens wird der Zusammenarbeit zwischen klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU) zunehmend mehr Beachtung geschenkt. Während der ersten Chinesisch-Deutschen Regierungskonsultationen im Jahr 2011 wurden Spezialkredite für die KMU-Zusammenarbeit in Höhe von zwei Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, um unter anderem kleinen und mittelständischen chinesischen Unternehmen den Gang nach Deutschland zu erleichtern. 

  

Darüber hinaus nimmt inzwischen auch die Tourismusbranche einen rasanten Aufschwung. Die Anzahl chinesischer Touristen in Deutschland hat seit der Unterzeichnung des Memorandum of Understanding über die Durchführung von Gruppenreisen chinesischer Staatsbürger nach Deutschland im Jahr 2002 ständig zugenommen: 2019 reisten mehr als 1,5 Millionen Chinesen vom Festland nach Deutschland, während vor dem Ausbruch der Coronapandemie mehr als 600.000 deutsche Staatsbürger nach China kamen. 

  

Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt für die chinesisch-deutschen Beziehungen stellt die Zusammenarbeit bei Heranbildung und Austausch von Talenten in den Bereichen Kultur, Bildung und Wissenschaft und Technologie dar. Schon zu Beginn der Ausrufung der Bundesrepublik Deutschland hat die Bundesregierung insbesondere den Wiederaufbau des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD) und der Alexander von Humboldt-Stiftung als auswärtige Kulturmittler vorangetrieben. Seit Anfang der 1970er Jahre wird die Kulturdiplomatie als dritte Säule der Außenpolitik seitens der Bundesregierung intensiv gefördert. „Kultur für alle“ und „Bildung für alle“ wurden zu wichtigen Zielsetzungen beim Aufbau der „Kulturnation“ erklärt. Um das internationale Image Deutschlands als „Land der Ideen“ zu unterstreichen, hat die Bundesregierung inzwischen auch zunehmend mehr Wissenschaft und Medien in den Bereich der Kulturdiplomatie einbezogen. Dadurch hat sich die chinesisch-deutsche Zusammenarbeit in den Bereichen Kultur und Bildung inhaltlich ständig erweitert. 

  

Um den bilateralen Austausch auf der akademischen Ebene zu fördern, wurde im Jahr 2002 neben dem wissenschaftlich-technischen Kooperationsabkommen und dem Kulturaustauschabkommen auch das „Chinesisch-Deutsche Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gleichwertigkeiten im Hochschulbereich“ unterzeichnet. 2006 folgte der strategische Dialogmechanismus für die chinesisch-deutsche Zusammenarbeit im Hochschulbereich. Im Rahmen der chinesisch-deutschen Regierungskonsultationen 2011 und 2012 hat man zudem Kooperationsmaßnahmen wie den Aufbau der chinesisch-deutschen strategischen Partnerschaft im Hochschulbereich, einer chinesisch-deutschen Kooperationsallianz für Berufsbildung und einer chinesisch-deutschen Innovationsplattform für Biowissenschaften besiegelt. Anlässlich des 45. Jahrestages der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Volksrepublik und der Bundesrepublik wurde 2017 der hochrangige chinesisch-deutsche Dialog für gesellschaftlich-kulturellen Austausch ins Leben gerufen. 

  

Bezüglich des institutionellen Aufbaus übernahm das Goethe-Institut eine wichtige Vorreiterrolle, indem es bereits 1988 eine Außenstelle in Beijing errichtete. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands haben auch DAAD, parteinahe Stiftungen, Unternehmensstiftungen sowie Universitäten damit begonnen, Büros in China zu eröffnen. Im Gegenzug wurde 2008 das Chinesische Kulturzentrum in Berlin eingeweiht, nachdem die chinesische Regierung vier Jahre zuvor die Kulturdiplomatie in ihre Außenpolitik aufgenommen hatte. Zudem haben inzwischen mehrere chinesische Universitäten gemeinsam mit ihren deutschen Partneruniversitäten und weiteren Kultureinrichtungen Konfuzius-Institute bzw. -Klassenzimmer in Deutschland eingerichtet. 

  

In den Bereichen Wissenschaft und Technologie haben die Chinesische Nationale Stiftung für Naturwissenschaften (NSFC) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Jahr 2000 gemeinsam das „Chinesisch-Deutsche Zentrum für Forschungsförderung“ in Beijing errichtet. Darüber hinaus pflegen vier deutsche außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, darunter das Max-Planck-Institut und die Fraunhofer Gesellschaft, enge Kooperationen mit China. Im November 2016 veranstalteten die Chinesische Akademie der Wissenschaften und die Max-Planck-Gesellschaft die Exploratory Round Table Conference (ERTC), um strategische Kooperationen in den Bereichen Kernphysik, Radioastronomie, biophysikalische Chemie und Big Data auszuloten und anzustoßen. Trotz des Ausbruchs der Coronapandemie seit 2020 findet die ERTC online weiterhin regelmäßig statt. 

 

 

Am 1. Juli 2022 nahmen viele deutsche Besucher an der Eröffnungszeremonie des zweiten Chinafests in Frankfurt teil. 

 

In Bezug auf den Austausch und die Zusammenarbeit im Kulturbereich hat sich der Schwerpunkt der chinesisch-deutschen Kooperation von den Bereichen Sprache, Bildung, Musik, Malerei und Theater auf den interkulturellen Dialog und Austausch von Ideen und Konzepten ausgeweitet, was sich tiefgreifend auf den gesellschaftlichen Wandel und die kulturelle Bereicherung beider Länder auswirken sollte, wie es zum Beispiel im Rahmen der Programme „Deutschland und China – Gemeinsam in Bewegung“ (2007-2010), „Deutsch-Chinesisches Kulturjahr“ mit „Kooperation und Dialog“ als Schwerpunkt (2012) oder das „Deutsch-Chinesische Jahr des Jugendaustausches“ geschah. In den vergangenen Jahren hat sich die bilaterale Zusammenarbeit von Universitäten auf die Schulen, von Metropolen auf die verschiedenen Städte sowie von der staatlichen Seite auf die Nichtregierungsebene in beiden Ländern erweitert. Der Kreis der Teilnehmer an bilateralen Veranstaltungen hat sich ebenfalls weitgehend vergrößert. 

  

Gegenwärtig bestehen zwischen China und Deutschland mehr als 100 Partnerschaften zwischen Provinzen und Bundesländern sowie zwischen Städten und rund 750 Schulpartnerschaften. Die Zahl der chinesischen Studierenden in Deutschland wuchs von nur etwa einem Dutzend im Jahr 1974, als China erneut junge Menschen zum Studium ins Ausland entsandte, auf etwa 40.000 im Jahr 2020. Chinesische Studierende sind inzwischen die größte Gruppe von Auslandsstudierenden in Deutschland. Auch die Zahl deutscher Studierender in China ist von drei im Jahr 1973 auf knapp 5000 vor dem Ausbruch der Coronapandemie gestiegen. Es gibt darüber hinaus intensive Zusammenarbeit zwischen chinesischen und deutschen Hochschulen, wie beispielsweise bei der gemeinsamen Durchführung von Forschungs- oder Bildungsprojekten. Mehr als 150 Universitäten in China bieten heutzutage Germanistik-Studiengänge an, und es gibt im Gegenzug mehr als 30.000 Menschen in Deutschland, die Chinesisch lernen. 

  

Seit der Wiedervereinigung fungiert Deutschland nicht nur als entscheidender Motor der europäischen Integration und es gewinnt als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt auch bei der Global Governance zunehmend an Bedeutung. Als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates ist China nach mehr als 40 Jahren Reform- und Öffnungspolitik gleichzeitig zur weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft aufgestiegen, und es spielt wie Deutschland als „Gestaltungsmacht“ eine immer bedeutendere Rolle in den internationalen Angelegenheiten. Im Laufe der Jahre hat die umfassende Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland nicht nur die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung Chinas und seine Integration in die Weltgemeinschaft maßgeblich gefördert. Sie trägt auch zur weiterführenden Entwicklung der deutschen Wirtschaft bei, insbesondere in Bezug auf seine rasche Erholung von der europäischen Staatsschuldenkrise. 

  

Die bilateralen Beziehungen zwischen China und Deutschland sind zweifellos neben dem Einfluss von der internationalen Lage auch unmittelbar eng an verschiedene inländische Faktoren wie die innenpolitische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung in den beiden Ländern gekoppelt. Während sich die Unterschiede zwischen China und Deutschland in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung allmählich verkleinern, ist die Verschiedenheit bezüglich des politischen Systems und der humanistischen Konzepte, was durch die differenzierte historische Entwicklung bedingt ist, nach wie vor groß. Die reibungslose Fortführung und der Ausbau der bilateralen interkulturellen Beziehungen hängen daher in Zukunft in großem Maße auch von den unermüdlichen Bemühungen der Regierungen und der Bürger beider Länder ab. 

  

Inmitten einer Reihe von aktuellen globalen Krisen, insbesondere hinsichtlich des militärischen Konflikts zwischen Russland und der Ukraine, ist es von großer Bedeutung, sowohl für China als auch für Deutschland aktiver aufeinander zuzugehen und intensiver nach gemeinsamen Handlungsmöglichkeiten zu suchen statt sich auf die Unterschiede zu fokussieren. Es ist erforderlich, sich gemeinsam dafür einzusetzen, den Weltfrieden wiederherzustellen und eine gemeinsame sichere Friedensarchitektur herzustellen. Es ist ebenso von großer Bedeutung, gemeinsam bei der Bekämpfung der Coronapandemie den wirtschaftlichen Aufschwung beider Länder voranzutreiben und die Klima- und Energiewende Schulter an Schulter zu fördern, um nicht zuletzt eine nachhaltige und friedliche Entwicklung der Welt sicherzustellen, welche der Menschheit zugutekommen kann. 

  

*Frau Dr. MENG Hong ist Germanistik-Professorin an der Chinesischen Renmin-Universität in Beijing. Sie ist ständiges Vorstandsmitglied der Chinesischen Forschungsgesellschaft für deutsche Geschichte und Vorstandsmitglied der Chinesischen Gesellschaft für Deutschlandstudien sowie Mitglied des Deutschland-Forschungszentrums der Renmin-Universität und des Sino-Europäischen Forschungszentrums der Qinghua-Universität in Beijing. Sie leitet derzeit das von der Renmin-Universität geförderte Forschungsprojekt über den „Deutsch-Chinesischen Dialog für den kulturell- gesellschaftlichen Austausch" (KYGJA2022009).  

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