Kurz vor der Sommerpause veröffentlichte die Bundesregierung am 13. Juli das 64-seitige Dokument „China-Strategie“. Anders als die „Neue Asien-Politik“ von Kohls Regierung oder das „Ostasien-Konzept“ der Regierung unter Schröder, auch anders als die Initiative des „Heiligendamm-Prozesses“ und die „Indo-Pazifik-Leitlinien“ der Merkel-Regierung konzentriert sich das neue Strategiepapier, erstmals in der bundesdeutschen Geschichte, ausschließlich auf China.
Dieses neue Strategiepapier befürwortet zwar die umfassende Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China, insbesondere den Ausbau und die Stärkung des zivilen Austausches. Aufgrund der einseitigen Positionierung als Folge eines fehlenden tiefgreifenden Verständnisses von China als ein dynamisches und sich im Wandel befindendes Land zeigt es jedoch eine Reihe von Widersprüchen und Vorurteilen. Neben den Bemühungen um „De-Risking“ der deutschen wirtschaftlichen Entwicklung von China und der Betonung der notwendigen „Kooperation“ und „Verantwortung“ hinsichtlich der globalen Fragen ist das Papier eher von einem Grundton geprägt, die Welt vor der sogenannten neuen „Gelben Gefahr“ im fernen China zu warnen.
Vor gut 50 Jahren, mitten im Kalten Krieg, wurden diplomatische Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen. Seither haben sich beide Länder rasant entwickelt. Deutschland wurde im Jahr 1990 durch eine friedliche Revolution wiedervereinigt und setzt sich als führender Motor ständig für die europäische Integration ein. China ist durch die kontinuierliche Umsetzung der Reform- und Öffnungspolitik, teilweise auch dank der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, inzwischen von einem rückständigen Land zur weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft aufgestiegen. Es hat nicht nur das Armutsproblem von mehr als 700 Millionen Chinesen erfolgreich bekämpft, sondern Deutschland und andere EU-Länder nach dem Ausbruch der europäischen Staatsschuldenkrise im Jahr 2008 aktiv unterstützt, indem die Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland vertieft wurden und das Handelsvolumen um ein Mehrfaches gestiegen ist. Chinesische Unternehmen wurden zudem mit der „go out“-Politik ermutigt, nach Europa zu gehen und in Deutschland zu investieren.
Der Ausbruch von COVID-19 Anfang 2020 hat zwar den Personalaustausch zwischen beiden Ländern stark beeinträchtigt. Die neuen Eisenbahnverbindungen auf dem transeurasischen Korridor im Rahmen der „Neuen Seidenstraße-Initiative“ haben jedoch dazu beigetragen, dass die deutsch-chinesischen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen auf einem hohen Niveau aufrechterhalten werden können. Seit mittlerweile sieben Jahren ist China der größte Handelspartner Deutschlands.
In der Ukraine, die 1991 aus der ehemaligen Sowjetunion ausgetreten war, herrschen in diesen Jahren zunehmend mehr Konflikte zwischen pro-europäischen und pro-russischen Gruppen. Ende Februar 2022 hat sich die Lage rapid verschlechtert. Die militärische Unterstützung Deutschlands für die Ukraine und die Aufgabe des Grundprinzips, „keine Waffen in Kriegs- und Konfliktgebiete zu liefern“ haben inzwischen zu einem „Stellvertreterkrieg“ zwischen der Ukraine und dem Westen gegenüber Russland geführt. Die Sanktionen gegenüber Russland haben in Deutschland ferner eine umfassende Energie-Krise ausgelöst.
Prof. Dr. Meng Hong (Archivfoto)
Die neue „China-Strategie“ entstand wohl vor diesem kritischen Hintergrund und basiert auf der vor kurzem verabschiedeten deutschen „Nationalen Sicherheitsstrategie“. Um die starke Abhängigkeit von China, wie einst von Russland im Energiebereich, zu vermeiden, werden Chinas drei Rollen für Deutschland als Partner, Wettbewerber und Systemrivale betont. Es wird darüber hinaus versucht, die bilaterale Kooperation in den verschiedenen Bereichen konkret unter die Lupe zu nehmen. Zudem wird besonders unterstrichen, dass Deutschland künftig mehr bei der Koordinierung der Chinapolitik auf EU-Ebene wie auch auf internationaler Ebene mitwirken wird. Des Weiteren wird neben dem Festhalten an der „Ein-China-Politik“ hervorgehoben, Taiwan bei der Teilnahme an internationalen Organisationen zu unterstützen. Für die Koordination der China-Kooperation wird, den USA folgend, eine Staatssekretärinnen- und Staatssekretärsrunde eingerichtet. Ferner werden die China-Aktivitäten der Bundesländer trotz des föderalistischen Grundprinzips gezielter gesteuert.
Die Eskalation des russisch-ukrainischen Konflikts steht offensichtlich mit der historischen Erinnerung, der veränderten europäischen Grundordnung nach dem Kalten Krieg und dem Fortbestand sowie dem Ausbau der NATO in Verbindung. Im Laufe der Zeit sind in Europa die Herausforderungen immer deutlicher geworden, wie auf dem gesamten europäischen Kontinent Frieden, Gleichheit und Gerechtigkeit, Autonomie und nationale Souveränität sowie nationale Einheit in der neuen Ära bewahrt und gefördert werden kann, und zwar mit gleichen Grundsätzen gegenüber allen europäischen Ländern.
Angesichts der schmerzhaften historischen Lehren aus zwei Weltkriegen und der positiven Erfahrungen mit der Versöhnung mit Frankreich und Polen in der Nachkriegszeit wäre es eher ein notwendiger und dringlicher Beitrag der Bundesregierung, eine europäische Friedensstrategie auszuarbeiten und sich für die nachhaltige Friedensentwicklung in Europa einzusetzen, anstatt mit dem Grundsatz „keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern“ zu brechen und China als potenziellen neuen Gefahrenherd hochzustilisieren.
Die Förderung eines friedlichen Europas, vor allem die baldige Stilllegung der Konflikte zwischen Russland und der Ukraine sowie die Förderung der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Ländern in der Welt können der Entwicklung Deutschlands und Europas eher zum Nutzen gereichen. Insbesondere ist es von essentieller Bedeutung, dass Deutschland nach einer Reihe von Krisen in diesen Jahren sich selbst wieder zu einem starken und stabilen Land entwickelt, und Europa zu einem friedlichen Kontinent in der Welt. Durch gegenseitiges Lernen und Respekt in der internationalen Zusammenarbeit lassen sich Grundprinzipien wie „mehr Demokratie wagen“, „Rechtsstaatlichkeit“, „Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit achten“ besser bilateral, regional und international verbreiten und umsetzen, um nicht zuletzt der friedlichen und nachhaltigen Entwicklung unserer Welt zugute zu kommen.
Die Autorin ist Professorin an der Renmin-Universität China. Die Meinung des Autors spiegelt die Position unserer Webseite nicht notwendigerweise wider.